Ikigai – Modell, um den Sinn im Leben zu finden

Ikigai-Schema
Ikigai-Schema (Version von Evi Anderson-Krug)


Lesezeit: 10 Minuten

Wenn Menschen in einer Krise stecken oder in einer unbefriedigenden Situation festhängen, soll möglichst bald irgendetwas anders werden. Doch was? Die Richtung, in die es jetzt gehen soll, ist selten sofort klar. Meist wollen sie einfach nur raus, raus aus der Krise oder weg von allem, was sie unglücklich macht. Doch ohne neue Perspektiven drehen sie sich im Kreis. Der Coaching-Ansatz des „Ikigai“ bietet hier eine gute Orientierungsmöglichkeit, um neue (und ganzheitliche) Ziele zu finden. Er eignet sich sowohl als Kompass für Coaching-Interventionen als auch für Selbstcoaching.




Was ist Ikigai?

Der Begriff „Ikigai“ stammt aus dem Japanischen (japanisch 生き甲斐) und kennzeichnet eine Lebenseinstellung. Es bedeutet übersetzt in etwa „das, wofür es sich zu leben lohnt“, „Freude und Lebensziel“ oder „etwas, wofür es sich lohnt, am Morgen aufzustehen“.

Okinawa
Okinawa (Pixabay: © Vladimir Haltakov)

Besonders geprägt wurde der Begriff auf der japanischen Insel Okinawa, dort leben die ältesten Menschen der Welt, die meisten Hundertjährigen. Außer täglicher moderater Bewegung, ihrer Ernährung und einem Leben in Gemeinschaft mit anderen ist das „Ikigai“ eines der zentralen Gründe für ihr hohes Alter. Sie kennen den Begriff „Ruhestand“ nicht und bleiben zeitlebens aktiv. Ihr ganz persönliches Ikigai gibt ihnen die nötige Motivation, er ist der „Grund am Morgen aufzustehen“, ihr Lebenssinn.

Entsprechend eignet sich dieses Modell als Coaching-Ansatz, wenn die Frage nach Selbstverwirklichung oder dem Sinn unseres Lebens im Mittelpunkt steht. Die darin enthaltenen Leitfragen beleuchten ein weites Spektrum unseres menschlichen Daseins.

Anwendung / Einsatzmöglichkeit

Anwendungsgebiete
Notizen (Pixabay: © janjf93)
  • Neu-Orientierung, Umbruchsituationen
  • Suche nach neuen Perspektiven im Leben
  • Suche nach dem Lebenssinn
  • Potenzialentwicklung und ganzheitliche Zielsetzung
  • Standortbestimmung und Diagnosetool zu Beginn eines Coachings
  • Planungstool und Kompass für weitere Coaching-Interventionen

Ziel

  • Sichtbarmachen eigener Leidenschaften, Stärken, Ressourcen, Werte
  • Visualisierung der Lebenssituation des Klienten
  • Aufdecken von Bereichen, die als „mangelhaft“ oder „vernachlässigt“ empfunden werden
  • Wegweiser für die nächsten Schritte
Ziel
Ziel (Pixabay: © Deedster)

Die fünf Säulen des Ikigai

  1. Klein anfangen
  2. Loslassen lernen
  3. Harmonie und Nachhaltigkeit leben
  4. Die Freude an kleinen Dingen entdecken
  5. Im Hier und Jetzt sein

Das Modell – Die Leitfragen des Ikigai

Ikigai


Folgende Darstellung wird meist mit dem Ikigai in Verbindung gebracht. Es zeigt vier einander überschneidende Kreise, die insgesamt vier wesentliche Fragen behandeln:

  • Was liebe ich?
  • Was kann ich gut?
  • Wofür werde ich bezahlt?
  • Was braucht die Welt von mir?

Die Schnittmenge von zwei nebeneinander liegenden Kreisen zeigt, welches Bedürfnis damit erfüllt wird. So zeigt etwa das Segment zwischen „Was du liebst“ und „Was du gut kannst“ den Bereich an, in der wir unsere Leidenschaft, unsere „Passion“ für etwas ausdrücken können, z.B. in einem Hobby.

Erst wenn alle vier Bereiche ausreichend gelebt werden und miteinander in Balance sind, erfahren wir als zentrale Schnittmenge unser Ikigai. Es kann auch als „Sweet Spot“ bezeichnet werden, der ideale Punkt, an dem etwas seine optimale Wirkung entfaltet. Oder anders gesagt, das, wo sich die eigenen Talente und Leidenschaften mit dem überschneiden, was die Welt braucht und wofür wir auch entlohnt werden.





Ablauf des Coachings

Das Coaching ist nicht akribisch auf eine feste Reihenfolge festgelegt. Hier ein möglicher Ablauf:

  1. Bestandsaufnahme

    Nach der Ziel- und Auftragsklärung werden mit dem Klienten die einzelnen Segmente durch entsprechende Fragen erarbeitet.

    Was du liebst:

    • Was begeistert Dich?
    • Was kannst Du unendlich lange tun, ohne müde zu werden?
    • Was hast Du als Kind geliebt?
    • Wie hast Du am liebsten Deine Ferien verbracht?
    • Worüber kannst Du stundenlang reden?
    • Wann bist Du im Flow?
    • Wenn Du einen ganzen Tag das tun könntest, was Du am liebsten machst, was wäre das?

    Was du gut kannst:

    • Was sind Deine Talente?
    • Was hast Du gelernt? Welche Ausbildung, Studium, Kurse oder spezielle Hobbies?
    • Was kannst Du besser als andere?
    • Welche ungewöhnlichen Fähigkeiten hast Du?
      (z.B. auch „unwichtige“ Fähigkeiten, wie mit den Ohren wackeln, auf zwei Fingern pfeifen etc.)

    Wofür du bezahlt wirst:

    • Was ist Dein Beruf?
    • Woher beziehst Du Dein Einkommen?
    • Welche Einnahmen hast Du noch?

    Was braucht die Welt von dir?

    • Was erfüllt Dich mit Sinn?
    • Was entspricht Deinen Werten?
    • Was soll einmal übrig bleiben, in Erinnerung bleiben, wenn Du nicht mehr da bist?
    • Was würde sofort auffallen, wenn Du mal ein paar Wochen nicht da wärst?
      Was würde liegenbleiben? Was würde nicht erledigt werden?
    • Wo oder wem würdest Du konkret fehlen?

    Diese Fragen sind Richtwerte, sie können auch anders formuliert und ergänzt werden.

  2. Überschneidungen herausfinden

    Die Erarbeitung der Fragen kann schriftlich auf großen Bögen Papier erfolgen (pro Segment 1 Blatt) oder auf farbigen Post-its notiert werden (pro Kreis eine Farbe). Dadurch entsteht sofort eine Visualisierung und es werden mögliche Überschneidungen deutlich.

    Gemeinsamkeiten in den einzelnen Bereichen können jeweils farbig umkreist werden, so dass eine Tendenz erkennbar ist. Manchmal kristallisiert sich hier schon eine Besonderheit heraus, die Hinweis auf ein mögliches „Ikigai“ geben kann.

  3. Herausfinden von schwachen Segmenten

    In der Praxis zeigt sich oft, dass ein oder mehrere Bereiche nicht so einfach zu bearbeiten sind. Das zeigt sich daran, dass es den Klienten schwerfällt, die jeweiligen Fragen zu beantworten. So kann es durchaus sein, dass ein Mensch Schwierigkeiten hat, zu benennen, was er gerne tut oder sogar liebt. Dahinter steckt manchmal ein limitierender Glaubenssatz oder eine innere Bewertung, dass „man sowas nicht sagen kann“. Das können z.B. Tätigkeiten sein wie „ausgiebig und stundenlang shoppen“ oder „den halben Tag in der Sonne liegen und nichts tun“.

    Erlaubnis zulassen:
    Hier kann der Coach den Klienten ermutigen, genau so etwas zu notieren, sich alle Freiheiten zu nehmen, ohne sie innerlich zu bewerten. Häufig steckt ein tieferer Wunsch dahinter, den es noch zu entdecken gilt, manchmal ist es gerade der entscheidende Hinweis auf eine nicht gelebte Leidenschaft.

    Auch in den anderen Bereichen können einschränkende Glaubenssätze den Klienten blockieren. Etwa bei Fragen nach den Fähigkeiten (Was du gut kannst) oder dem Thema Entlohnung (Wofür du bezahlt wirst). Das sind dann mögliche Ansätze für entsprechend weitere Coaching-Interventionen.

  4. Zwischenbilanz ziehen

    Dieser Prozess ist fließend und entwickelt sich nach und nach. Wenn einzelne Fragen nicht gleich beantwortet werden können, braucht der Klient möglicherweise noch Zeit. Oder die erwähnten Limitierungen stehen momentan im Weg und sollten zunächst bearbeitet werden.

    Zusätzlich kann der Klient im Alltag darauf achten, welche Tätigkeiten er liebt, wo seine Talente liegen etc. Manchmal empfiehlt es sich, ein Tagebuch zu schreiben, in dem die Beobachtungen notiert werden.

    Das Ikigai-Schema dient dabei immer wieder als Landkarte für die weiteren Schritte. So könnten z.B. diejenigen Bereiche, die man liebt, aber noch nicht gut kann, durch entsprechende Kurse und Weiterbildungen ergänzt werden. Wenn eine geliebte Tätigkeit noch kein Einkommen erzielt, könnte das zunächst durch Erschließen passiver Einkommensquellen kompensiert werden.

    Es kann hier keine konkrete Vorgehensweise geben, diese wird immer wieder gemeinsam mit dem Klienten abgeglichen und neu abgestimmt.

Uhrzeit Dauer

Dauer

Zwischen 90 Minuten und mehreren Sitzungen, abhängig davon, wieviel der Klient bereits beantworten kann und wieviel er ggf. allein nachbearbeitet.

Hinweis

Es ist nicht zwingend notwendig, dass der Klient das Schema vor sich hat, wichtig ist, dass der Coach die einzelnen Elemente kennt. Für manche Klienten ist jedoch eine Visualisierung sehr aufschlussreich und sie entdecken teilweise auf Anhieb, wo ihre „Baustellen“ liegen, welche Bereiche im Leben gerade zu kurz kommen.



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