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Ein Soziogramm ist die grafische Darstellung von interpersonalen Beziehungen innerhalb einer konstanten Gruppe. Das heißt, ein Soziogramm bildet ab, wie die Teilnehmer dieser Gruppe (z.B. in Arbeitsteams, Schulklassen, Seminargruppen etc.) miteinander in Beziehung stehen. Dadurch lassen sich positive und negative Beziehungen untereinander, sowie vorherrschende Sympathien und Antipathien zwischen den Gruppenmitgliedern visualisieren und kartographieren.
Ein Soziogramm macht dadurch Strukturen innerhalb dieser Gruppe messbar und zählt zu den wichtigsten Darstellungsverfahren der Soziometrie, einer Methode der empirischen Sozialforschung.
Inhaltsverzeichnis
Das Soziogramm wurde vor über 100 Jahren von Jacob Levy Moreno entwickelt. Er nutzte die Methode, während er 1916 als Arzt in einem Flüchtlingslager in der Nähe von Wien arbeitete. Dort wurden viele Tiroler Bauern untergebracht, die vor der italienischen Armee geflüchtet waren. Sie lebten unter elenden Bedingungen, u.a. entstanden durch das enge Zusammenleben auch viele soziale Nöte. Moreno beobachtete, dass viele der sozialen Probleme durch Konflikte zwischen verschiedenen Nationalitäten und Menschen mit unterschiedlichen politischen Einstellungen entstanden. Er empfahl der Regierung, das Lager mit Hilfe von soziometrischen Erkenntnissen neu zu strukturieren und erhielt die Erlaubnis dazu. So bildete er neue Wohn- und Arbeitsgruppen, die auf gegenseitiger Sympathie aufgebaut waren. Die Ergebnisse hatte er durch Befragungen der dort lebenden Flüchtlinge erhalten. Sein Experiment war erfolgreich: Obwohl die schwierigen Lebensbedingungen blieben, verbesserten sich durch die neue Zusammenstellung die schlimmsten Probleme. Später wendete Moreno die daraus gewonnenen Erkenntnisse in Amerika an, als er in einem Gefängnis die Gruppenstruktur veränderte, damit sich die Inhaftierten weiterentwickeln konnten. Moreno selbst bezeichnet seine „Idee der Soziometrie als ein Weg zur Neuordnung der Gesellschaft“. Zum Werk Morenos zählt neben dem Soziogramm auch Psychodrama und Gruppenpsychotherapie.
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Heute hat sich das Soziogramm vor allem in Schulklassen etabliert. Es wird von Lehrern eingesetzt, um Interaktionen und Konflikte ihrer Schüler grafisch darzustellen und mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnisse den Gruppenprozess in der Klasse zu steuern. Auch im Seminarbereich kann ein Soziogramm helfen, die Gruppendynamik und die Beziehungen untereinander zu visualisieren. In einem Unternehmen werden Soziogramme eingesetzt, um die Beziehungen zwischen einzelnen Abteilungen und Bereichen zu analysieren. Dies kann als Grundlage dienen für Unternehmensentwicklung, für Teamcoaching und – in abgewandelter Form – auch für Einzelcoaching.
Bei einem Soziogramm werden alle Mitglieder einer Gruppe aufgefordert, sich in einem individuellen Wahlverfahren über Zuneigung oder Abneigung gegenüber anderen Mitgliedern zu äußern. Dies wird meist durch gezielte Fragen ermittelt. Auf einer Grafik werden alle Beteiligten dargestellt und die Sympathie- bzw. Antipathie-Werte mit Hilfe von Pfeilen und Symbolen eingezeichnet. Dabei hat sich folgendes Vorgehen bewährt:
Im oben gezeigten Beispiel besteht z.B. eine gegenseitige Zuneigung zwischen den Personen A und C, sowie zwischen E und D. Person C erhält zudem Sympathiewerte von drei Mitgliedern, es zeigt sich ebenfalls eine gegenseitige Ablehnung zwischen C und D. Person D erhält in dieser Momentaufnahme die meisten ablehnenden Werte. Für die Auswertung ist es wichtig, dass nicht nur aufgrund der Darstellung Schlüsse gezogen werden. Oft sind auch die Antwortmöglichkeiten vorab begrenzt (z.B. „Mit welchen zwei Personen würden Sie ein persönliches Gespräch führen?“) Dadurch können Mitglieder, die bei einer unbegrenzten Auswahlmöglichkeit auch positiv gewählt worden wären, fälschlicherweise als unbeliebt gelten. So sollten im Anschluss noch weitere Befragungen stattfinden bzw. die Interaktion der Mitglieder beobachtet werden. Selbstverständlich ist ein hohes Maß an Fingerspitzengefühl erforderlich, damit dadurch keine Ausgrenzung geschieht. Für größere Gruppen (z.B. Schulklassen) ist es manchmal recht aufwändig, alles per Hand darzustellen. Es gibt inzwischen zahlreiche und einfache Software-Programme, mit denen Soziogramme erstellt werden können, einige davon sind kostenlos. Ein Nachteil dabei ist, dass individuelle Auswertungsmöglichkeiten durch die Software oft nicht möglich sind.
Ein Soziogramm kann mit speziellen Symbolen oder durch die gewählte Farbe Aufschlüsse über die Beziehungen untereinander erhalten. Anlehnend an Moreno hier einige seiner Vorschläge:
Diese Beziehungslinien sind Anregungen. Sie können je nach Bedarf individuell erstellt und ergänzt werden. Zudem regt Moreno an, durch die Art der Verbindungslinien weitere Details sichtbar zu machen. So kann z.B. die individuelle Reaktion einer Person auf ein anderes Gruppenmitglied durch farbige Gestaltung der Linien oder deren Muster näher bestimmt werden. Beispielsweise stellt eine gepunktete oder gestrichelte Linie „Angst“ vor der anderen Person dar, eine dünne Linie kennzeichnet „Ärger“ und eine dicke schwarze Linie „Herrschsüchtigkeit“ gegenüber einem anderen. Moreno spezifiziert z.B. hier durch unterschiedliche Symbole das Geschlecht der Person, sowie durch farbliche Kennzeichnung auch unterschiedliche Hautfarben.
Diese Symbolik dient als Anregung. Mittlerweile hat sich eine Vielzahl weiterer, aussagekräftiger Symbole durchgesetzt. So können jederzeit die Beziehungen untereinander durch Emoticons (Smiley, negativer Smiley, Herzchen, Social-Media-Zeichen etc.) schnell und übersichtlich gekennzeichnet werden. Konflikte etwa werden zusätzlich durch einen Blitz markiert oder enge Beziehungen durch einen Doppelpfeil. Auch durch räumliche Anordnung der Mitglieder kann eine Grafik sehr aussagekräftig werden (z.B. Personen, die sich nahe stehen, werden enger nebeneinander gezeichnet).
Außer der oben gezeigten Darstellung, bei der alle Mitglieder kreisförmig angeordnet werden, bieten sich auch andere Skizzierungen an. So kann die Auswertung auch nach dem Rang der beteiligten Personen erfolgen: derjenige, der am meisten Sympathiewerte in der Wahl erhalten hat, wird auf einer Skala oben eingetragen, Personen mit wenig Sympathiewerten entsprechend weit unten. Alternativ können sehr beliebte Gruppenmitglieder zentral dargestellt werden, was ihre Position innerhalb der Gruppe auch grafisch verdeutlicht.
Darstellung nach Rangfolge: B erhält die meisten Sympathiewerte
Person D mit den meisten Sympathiewerten wird zentral dargestellt. (Andere Wertungen sind hier nicht berücksichtigt.)
Ein Soziogramm ist eine Momentaufnahme der Gruppen-bzw. Teamsituation und sollte als solche gewertet werden. Schon am nächsten Tag kann es ganz anders aussehen. Auch aktuelle Konflikte oder ein vorangegangener Streit können zu Fehlinterpretationen führen. Besonders bei Schulklassen mit schnell wechselnden Freundschaften und Sympathien sollte das berücksichtigt werden. Das Soziogramm sollte daher immer mit den Beobachtungen abgeglichen werden, die der Coach oder die Lehrkraft macht. Beim Einsatz im Teamcoaching ist empfehlenswert, zusätzlich offene Interviews zu führen, um Informationen zu erhalten, die nicht durch die vorgegebenen Fragen abgedeckt werden können. Ein Soziogramm darf auf keinen Fall dafür benutzt werden, einzelne Mitglieder ins Abseits zu manövrieren. Daher stellt sich auch die Frage, wer die Ergebnisse sehen darf. Wenn das Soziogramm der Gruppe, dem Team oder einem Vorgesetzten gezeigt wird, besteht immer die Gefahr, dass einzelne Mitglieder stigmatisiert werden, weil sie aktuell vielleicht weniger Sympathiepunkte erhalten haben. Diese momentane Bestandsaufnahme – grafisch dargestellt – wird ohne entsprechende Zusatzinformation schnell als unumstößlicher Fakt gewertet. Es kann zur Ausgrenzung von Gruppenmitgliedern oder schlimmstenfalls zu Mobbing führen. Daher sollten Soziogramme nie als einmalige soziometrische Methode eingesetzt werden, sondern sinnvollerweise in regelmäßigen Abständen wiederholt und abgeglichen werden. So können sie ein aussagekräftigeres Ergebnis zeigen.
In erster Linie bietet sich ein Soziogramm für die Arbeit mit Gruppen, z.B. im Seminar, Unterricht oder im Training an. Als Diagnosetool der Soziometrie kann das Soziogramm jedoch auch als Grundlage für Coaching, Team- und Unternehmensentwicklung dienen. Dabei ist auch der Einsatz im Einzelcoaching durchaus möglich und hilfreich. In diesem Fall werden nicht die anderen Kollegen befragt. Stattdessen wird der Klient dazu angeregt, die Beziehung zu seinen Kollegen (und der Kollegen untereinander) aus seiner Sicht zu skizzieren. Dies führt oft schon zu wertvollen Erkenntnissen. Im Unterschied zu einem Organigramm, das die Strukturen und den hierarchischen Aufbau innerhalb eines Unternehmens zeigt, wird durch das Soziogramm der Blick auf die Beziehungen der Beschäftigten untereinander gelenkt.
Ausgehend von sich selbst soll Herr K. die Beziehung zu seinen Kollegen und Vorgesetzten skizzieren. Dafür ordnet er sich selbst in der Mitte an und die weiteren Mitarbeiter um sich herum. Auch Beziehungen der Kollegen untereinander, soweit er sie beurteilen kann oder sie ihn betreffen, zeichnet er auf. Diese Skizze dient als Grundlage für das weitere Coaching-Gespräch.
Aus dieser Skizze wird ersichtlich: Herr K. hat einen Konflikt mit seiner Chefin und einem Praktikanten, der mit der Chefin verwandt ist. Zur Sekretärin und dem Projektmanager hat er ein gutes, gegenseitiges Verhältnis. Zu den Kollegen hat er keine Beziehung eingezeichnet.
Weitergehende Fragen könnten z.B. sein:
Auch hier gilt, dass diese Skizze eine Momentaufnahme beleuchtet. Die eingezeichneten Konflikte können sich auf ein aktuelles Thema beziehen, das rasch bearbeitet werden kann. Sie können ebenso eine bereits länger andauernde, schlechte und konfliktbehaftete Beziehung darstellen.
Die Grundlagen der Soziometrie
496 Seiten, VS Verlag für Sozialwissenschaften; Auflage: 3 (1. Januar 1974) ISBN 353111137X Jacob L. Moreno
Praxis der Gruppendynamik: Übungen und Techniken
346 Seiten, Hogrefe Verlag; Auflage: 9 (11. März 2011) ISBN 3801723542 Klaus Antons
Management Coaching (Haufe Fachbuch)
346 Seiten, Hogrefe Verlag; Auflage: 9 (11. März 2011) ISBN 3648025635 Matthias T. Meifert, Stefan Leinweber, Achim Mollbach, Michaela Reimann, Christoph Mât
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