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„Ich denke, also bin ich“, sagte Descartes vor 400 Jahren. Diese Antwort mag verwundern, scheint doch klar zu sein, dass wir existieren. Aber wer sind wir? Meist wissen wir das. Manchmal sehen wir uns idealistischer als andere uns. Oder kritischer. Bei Lebensumbrüchen, wenn sich Rollen und Werte verändern, erleben wir Umdeutungen. Bestenfalls erfinden wir uns neu. Ein anderer Philosoph, Richard David Precht, aus unserer heutigen Zeit, fragte: „Wer bin ich? – und wenn ja: wie viele?“ Vom Coaching und NLP kommend, nehmen wir Sie nun mit auf eine kleine Reise durch das Selbst. Wie Forscher und Therapeuten das Selbstkonzept definieren, das möchten wir gern gemeinsam mit Ihnen aufspüren. Eine kleine Forschungsgeschichte und Beispiele warten auf Sie. Auch wie sich das Selbstbewusstsein eines Kindes und Heranwachsenden entwickelt, darauf finden Sie eine Antwort. Haben Sie Lust, Entdeckungen zu machen? Vielleicht auch bei sich selbst?
Inhaltsverzeichnis
Das Selbstkonzept ist die Gesamtheit aller Empfindungen und Erkenntnisse über sich selbst als eigene Person. Das schließt das Bewusstsein seiner Biografie, seiner Charakteristika wie Bedürfnisse, Stärken und Schwächen, seiner Prinzipien und Erfahrungen ein. Idealistische Auffassungen gehören ebenso dazu. Das Selbstkonzept als eine Persönlichkeitseigenschaft ist relativ stabil. Folgende Wissenschaftler haben interessante Arbeiten bezüglich der Definition von ‚Selbstkonzept‘ geliefert: Sigrun-Heide Filipp, Herbert W. Marsh, Hans D. Mummendey, Carl Rogers, Richard J. Shavelson und Philip Zimbardo.
Zu ‚Selbstkonzept‘ existieren folgende Synonyme: das Selbst, Selbstbeschreibung, Selbstbild, Selbsteinschätzung, Selbstschema, Selbsttheorie, Selbstwahrnehmung, Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit. Eine einzig richtige Definition gibt es nicht. Vielmehr existieren äquivalente Begriffe in verschiedenen Wissenschaften (vor allem der Psychologie, aber auch Pädagogik, Philosophie und Soziologie) und Psychotherapie-Richtungen. Eine Lösung für das Definitionsproblem könnte sein, sich auf den Kontext zu fokussieren, indem eine Definition hilfreich sein soll. Diese Definition ist dann für den Moment „die richtige“. Auch eine Theorie zu bevorzugen, an die man sich anlehnt, ist ein praktikabler Maßstab zur Bevorzugung einer Definition.
Mit Rogers und Shavelson bringen wir Ihnen zunächst zwei herausragende Menschen nahe, die zum Selbstkonzept gearbeitet haben. Ersterer entwickelte eine therapeutische Herangehensweise zum Selbstkonzept. Letzterer hat starke Beachtung gefunden durch seinen abstrahierten, wissenschaftlichen Ansatz zur Selbsttheorie.
Der US-amerikanische Psychologe und Psychotherapeut (1902-1987) war der Erfinder der personenzentrierten Gesprächstherapie. Alle Klienten, auch solche mit einem negativen Selbstkonzept, so seine Auffassung, besäßen die Fähigkeiten zur „Selbsterhaltung“ und „Selbstverwirklichung“. Ein Mensch mache spezifische Erfahrungen in seinem Leben. Diese erlebte Realität (Sichtweisen und Wertungen) würde eine außenstehende Person nie ganz verstehen. Sie sei die Basis für das Selbstwertgefühl. Das reale Selbstkonzept sei ein Anteil und das ideale Selbst der andere. Stimmte beides überein, würde dieses Glücksgefühle hervorrufen. Unglückliche Patienten wiesen eine große Divergenz zwischen beiden Aspekten ihrer Selbsteinschätzung auf. Der Therapeut war der Überzeugung, die Motivation zur Heilung könne nur intrinsisch, vom Klienten selbst, aus seinem Motiv der „Selbstaktualisierung“ heraus, kommen. Er meinte damit: Jeder Mensch wolle sich entwickeln. Er versuchte, so wenig wie möglich einen Menschen zu bewerten. Stattdessen wollte er Hilfe zur Selbsthilfe leisten.
Auf „Augenhöhe“, gleichberechtigt, den nach Hilfe fragenden Menschen zu begegnen, war die humanistische Maxime des Psychologen. Wohlwollend und wertschätzend mit ihnen umzugehen, war für ihn ein notwendiger, potentiell fruchtbarer Behandlungsrahmen. Selbst echt zu sein und mitfühlend, gehörte für ihn dazu. Als geschützten Raum bot der Therapeut seine Sitzungen an. Ihr negatives Selbstkonzept mit seinen krisenhaften Verzerrungen und Verdrängungen sollten Klienten bearbeiten können. Sie durften sich ausprobieren, emotional unterstützt. Sie sollten ihm frei von Angst begegnen dürfen. Ein Kritikpunkt an seiner Herangehensweise ist die Förderung eines positiven gegenüber einem negativem Selbst und der gleichzeitige Anspruch, seinen Klienten phänomenologisch (beschreibend) und nicht bewertend zu begegnen. Das ist ein Widerspruch.
Laut Meinung des Therapeuten findet die Entstehung des Selbstkonzeptes in der frühen Kindheit statt. Für ein positives Selbstkonzept seien ein wertschätzender Umgang der Eltern und des sozialen Umfeldes wichtig. Wenn das Kind sich gewollt fühlt und angenehme Erfahrungen mit sich selbst macht, führt das zu einer hohen Selbstachtung. Ab dem zweiten bis sechsten Lebensmonat besitzt ein Säugling bereits Anfänge eines Selbstgefühls – durch die Rückmeldungen seiner Mutter. Im Alter von anderthalb bis zwei Jahren erkennen sich Kinder im Spiegel (Rouge-Test). Fängt das Kind an, körperlich selbständiger zu werden und zu laufen, entwickelt sich die Selbstwahrnehmung rapide. Im Alter von drei bis vier Jahren können sich Kinder in der Zukunft vorstellen: wenn es um Belohnungen geht und um eigene Bedürfnisse. Später wird das Selbstkonzept feiner und komplexer. Abstrakte, situationsbezogene Selbstbeschreibungen kommen hinzu. Dadurch wird gegensätzliches Verhalten zu unterschiedlichen Personen möglich. Im Vorschulalter besitzen Kinder, im Vergleich zu Schülern, tendenziell ein übersteigertes Selbstbewusstsein. Für die ersten Schuljahre konstatieren pädagogische Forschungen teilweise große Brüche in der Entwicklung des Selbstwertgefühls. Äußere Bewertungen durch Lehrer und Eltern würden den Optimismus und das Selbstbewusstsein bremsen. Im späteren Leben hat ein Mensch bei der Konfrontation mit Erfahrungen diverse Optionen. Wenn diese, zum Beispiel, unangenehm sind, kann er sie dennoch annehmen. Eine Person mit positiver Selbstwahrnehmung würde das tun und diese in sein Selbstschema integrieren. Ein Individuum mit negativem Selbst, so seine Sichtweise, verdrängt Schlechtes eher oder verzerrt es.
Dieser in Stanford tätige Bildungswissenschaftler und Wirtschaftspädagoge (geboren 1942), ist mit Herbert Marsh einer der herausragenden Selbstkonzept-Forscher. Der Professor ist auch im Anwendungsbereich tätig gewesen. So beschäftigte er sich mit der Verarbeitung individuellen Verhaltens im Berufsalltag. Außerdem entwickelte er international vergleichbare Bewertungen für Studierenden-Leistungen. Aus einer Kritik an eindimensionalen Selbstkonzept-Definitionen der Sozialpsychologie heraus formulierte der Pädagoge mit Kollegen 1976 einen neuen Ansatz: Ein Selbstbild sei komplex und in mehrere Stufen untergliedert. An einem Beispiel erläutert, meinte er damit Folgendes: Zunächst einmal besäße ein Mensch eine allgemeine Vorstellung von seinem Selbst. So würde sich eine Person anfänglich vorstellen als:
Der Bildungswissenschaftler identifizierte die darunter liegenden, kognitiven Kategorien des Selbst als: akademisches Selbstkonzept – soziales – emotionales – und körperliches Selbstkonzept. Würde Frau Berg aufgefordert werden, genauer von sich zu sprechen, führte sie weitere Eigenschaften, zum Beispiel Sprach- und Fachkenntnisse verschiedener Disziplinen an. Diese ordnete der Forscher der akademischen Selbstbeschreibung zu. Dieser Anteil des Selbstschemas kann auf dokumentierten Qualifikationen beruhen. Alternativ schätzt sich Frau Berg selbst ein:
Ist die akademische Selbstwahrnehmung idealistisch, existiert eine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild. Das Selbstkonzept ist dennoch richtig.
Diese Kategorisierungen würde nicht nur er als Wissenschaftler vornehmen. Sondern auch Menschen, die sich selbst beschrieben, unterteilten ihr Selbstbild. Das akademische Selbstkonzept, so sein Ansatz, basierte auf den Erfahrungen eines Menschen mit seinen früheren Schulfächern.
Der Bildungspsychologe Herbert W. Marsh (geboren 1946) unterzog dieses Selbstkonzept-Modell seines Kollegen einer empirischen Analyse (1985/1990). Er bestätigte die Multidimensionalität. Kritik übte er an seiner Hierarchisierung und Unterteilung des akademischen Selbstkonzeptes. Er kam zu dem Schluss, dass Menschen nicht in so feinen Kategorien wie Mathematik, Biologie, Geschichte, Englisch, Französisch etc. etc. von sich dächten und erzählten. Vielmehr würden verbale Fächer (Deutsch/Muttersprache, Fremdsprachen und Geschichte) zusammengefasst und die Naturwissenschaften (Mathematik, Physik, Biologie und andere). Diese Weiterentwicklung eines ursprünglichen Modells war nicht die letzte. Sie setzt sich bis heute fort. Allen Forschungsergebnissen gemeinsam ist die Erkenntnis: eine Selbstwahrnehmung ist komplex und entwickelt sich weiter.
Marsh wies 1984 auf einen bestimmten Zusammenhang zwischen einer schülerischen Selbstwahrnehmung und dem Leistungsniveau in der Schule hin: Heranwachsende würden in einer Klasse mit leistungsstärkeren Mitschülern tendenziell ein geringeres Selbstbewusstsein ausbilden als wenn sie n einer Gruppe leistungsschwächerer Gleichaltriger lernten. In dem im Englischen als „big-fish-little-pond-effect“ (BFLPE) bezeichneten Ansatz wies er auf den großen Antrieb letzterer Schüler hin. Sie bekämen mehr positive Aufmerksamkeit für ihre Lernergebnisse. Diese Arbeit zeigt die starke Rolle externen Einflusses auf Heranwachsende. Sie entwickelten schnell ein fokussiert leistungsbezogenes Selbstkonzept. Wichtig ist es, einem Schüler Freiräume zur Entfaltung zu geben. Dazu gehört, nicht allein positive Ziele von Erwachsenenseite (als Lehrer oder Eltern) auszugeben. Schule sollte auch Spaß machen. Freizeit darf durchaus scheinbar leere Zeit sein, um aufzutanken. Laut dem Assimilationseffekt (auch Kontexteffekt) gibt es auch einen gegenteiligen Effekt zum Fischteich-Effekt. Manche Schüler entwickelten gerade einen Motivations- und Leistungsschub, wenn sie sich an eine Gruppe leistungsstärkerer Mitschüler anpassen wollten. Ein Schulwechsel und damit der Wechsel der Bezugsgruppe wäre so ein Fall.
Die Entwicklung des Selbstkonzeptes wählte Sigrun-Heide Filipp, Trierer Professorin der Entwicklungspsychologie , (geboren 1943) als einen ihrer wissenschaftlichen Schwerpunkte. Die Verarbeitung von Krankheiten und Lebenskrisen sowie Bilder des Alterns sind ihre weiteren Forschungsfelder. Selbstkonzept definiert sie als geistige Vorstellung eines Menschen von sich selbst. Dieses „Informationsverarbeitungssystem“ sei die Basis für die Rezeption, Integration und die spätere Verfügbarkeit von Informationen über die eigene Person. Wissen über die eigene Person, so Filipp, 1979, könne ein Individuum durch direktes und indirektes Feedback Dritter erhalten. Dazu kommen soziale Vergleiche, Selbstbeobachtungen und Zukunftsmodelle. Nach ihrer Auffassung besäßen Menschen ab ihrem Erwachsenenalter eine relativ beständige Selbsteinschätzung. Dieses gilt für seine Struktur. Die Inhalte veränderten sich mit zunehmendem Erfahrungsschatz.
Das Selbst oder Selbstkonzept war bis in die 1960er Jahre hinein kein anerkanntes Konstrukt in der Psychologie gewesen. Hans-Dieter Mummendey, Vertreter der Sozialpsychologie (geboren 1940) grenzte dessen Definition gegenüber der von ‚Persönlichkeit‘ ab. Das Selbst ist für ihn der subjektive Standpunkt eines Menschen zu sich selbst – die Persönlichkeit dagegen die Summe objektiver Merkmale. Eine Person würde sein Selbst facettenreicher und differenzierter darstellen, meinte er, als das Selbstkonzept eines anderen Menschen (sofern sie es erkennen könnte). Der Psychologe formte eine offene Definition. Beurteilen könne ein Mensch alles von sich, sagte er sinngemäß: Körper und Psyche. Ein Individuum würde sich beschreiben, bewerten und sich erinnern. Es hätte aktuelle Sichtweisen von sich und Wünsche, was die eigene Zukunft anginge. Mummendey (2006) fand es angebracht, von den Selbstkonzepten (im Plural statt im Singular) zu sprechen, so wie sie geschaffen seien.
Der emeritierte Professor an der Stanford University (geboren 1933) führte 1971 das ambivalente Reaktionen hervorrufende Stanford-Prison-Experiment (vgl. Milgram-Experiment) durch. Er schrieb 50 Bücher. Das Experiment brach er vor der Hälfte der Zeit ab. Die Probanden hatten sich zu sehr in ihre Rollen eingefügt. Sadismus und Depressionen waren die Folge. Das Selbst, so Philip Zimbardos Begriffsbestimmung, 1992, ist ein geistiges Gefüge, dessen Besitzer sich dessen bewusst ist. Gleichzeitig führt das Selbst die Handlungen aus, die sein Gehirn denkt, wahrnimmt und kontrolliert. 2004 formulierte er ein gerichtliches Gutachten zu einem Wärter von Abu-Ghraib. Darin wies er auf den starken Einfluss des negativen Gefängniskontextes auf die Selbstwirksamkeit des Individuums hin.
Im Schulalter gibt es folgende Unterstützungsmöglichkeiten: Eine bedingungslose Liebe, also Zuneigung ohne Leistungserwartung, fördert das Selbstbewusstsein. Ein Heranwachsender profitiert von Spielräumen – um sich auszuprobieren - und als Ressource in druckvollen, emotionalen Situationen. Eine Frage der Eltern wie „Was brauchst du von uns?“ ist ebenfalls hilfreich. Solch ein Austausch mit ihrem Kind bei Selbstwertproblemen (ggf. auch eines Kindes mit seinem Vertrauenslehrer) kann Schwierigkeiten ans Licht bringen. Kindern tut ein Gemeinschaftsgefühl gut: mit den Erziehungsberechtigten, Geschwistern, ihren Gleichaltrigen oder Spielpartnern. Sie brauchen andere Menschen als Spiegel, um sich zu erkennen und auszuprobieren. In Sportgruppen machen Heranwachsende, zum Beispiel, solche Selbstwirksamkeitserfahrungen. Altersunabhängig fördert Kritik eine positive Selbstwirksamkeit – tendenziell am ehesten, wenn sie sachlich ist, an die Person gebunden (keine allgemeine Kritik) und detailliert.
Im Erwachsenenalter kann eine Selbstreflexion in einem beruflichen Coaching hilfreich sein. Zum Beispiel: Herr Arthur möchte sich mit externer Hilfe auf ein Bewerbungsgespräch vorbereiten. Er fühlt sich unsicher. Heraus kommt im Erstgespräch auch, dass er nicht nur eine positive Selbsteinschätzung hat, was seinen beruflichen Stand angeht. Er hat auch Kritik. Falls berufliche Schwächen in der Präsentation angesprochen werden würden, weiß er nicht, was er sagen könnte, ohne sich negativ darzustellen. Ein praktikabler Arbeitsrahmen wäre, wenn das Coachingziel relativ offen gehalten würde. Damit ist hier gemeint: Mehr Selbstbewusstsein im Beruf und eine Anstellung sind nicht sicher und direkt, durch die Schritte XY, zu erreichen. Vielmehr sollte dem eine veränderte Wahrnehmung des Klienten von sich selbst vorausgehen. Wenn ein Mensch wie Herr Arthur aus seinen Misserfolgen auch Positives lernt, berührt ihn das angenehm. Möglicherweise fühlt er sich stärker und ruhiger, wenn er sich erkennt. Er wird stolz auf seine Leistungen in schwierigen Berufssituationen. Ein Coaching bietet den Raum, in dem ein Klient seine Bedürfnisse besser erkennt. Ein positiveres Selbstkonzept setzt neue Erfahrungen, unter anderem im geschützten Coachingrahmen, voraus.
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