Versagens­angst – Unsichtbar, aber allgegenwärtig

Lesezeit: 9 Minuten

Utopische Erwartungen des Vorgesetzten, private Verpflichtungen, hohe eigene Ansprüche und ständige Erreichbarkeit: Der Leistungsdruck der modernen Gesellschaft steigt. Besonders junge Menschen kennen diesen Leistungsdruck und verspüren deswegen Angst – Angst zu versagen.




Frustrierte Frau
Frustrierte Frau © Storyblocks

Definition: Was ist Versagens­angst?

Versagens­angst beschreibt die Angst, in einer bestimmten Situation nicht die erwartete Leistung zu erbringen. Sie kann so stark ausgeprägt sein, dass Du jegliche Handlungen oder Vorhaben meidest und die Angst des Scheiterns deinen Alltag beherrscht und massiv einschränkt.

Das Gefühl ist unter den modernen Lebens­umständen bei vielen Menschen alltäglich, besonders bei jungen Menschen oder in stressigen Lebensphasen wie bei­spiels­weise die eines Studiums. Als Be­troffener leidest Du sowohl unter körper­lichen als auch psy­chischen Symp­tomen. Nervosität, Anspannung, Schlafstörungen, wie auch Denkblockaden, Aufmerksamkeits- und Konzentrations­störungen umfassen die Merkmale der mentalen Belastung.

Du zweifelst plötzlich an deinen Fähigkeiten, vielleicht sogar an deiner Berufung. Du stellst alles infrage, bist einem erdrückenden Druck ausgesetzt und schiebst deine Aufgaben auf, um nicht scheitern zu können.

Versagens­angst: Ein Alltagsgefühl

Versagens­angst tritt in unterschiedlichsten Lebensbereichen auf. Während einige Angst vor Vorträgen oder Auftritten haben, haben andere Angst ihre Rolle in der Familie nicht gerecht zu werden. Generell kann sich Versagens­angst überall entwickeln, wo im Kleinen oder im Großen etwas auf dem Spiel steht.

Habe ich Versagens­angst? Selbsttest

Mit dem folgenden Test kannst Du erfahren, ob du unter Versagens­angst leidest und wenn ja, wie stark. Beantworte die folgenden Fragen entweder mit „Eher ja“ oder „Eher nein“ und finde heraus, wie relevant das Thema für dich persön­lich ist.


  • A. Probierst Du gerne etwas Neues aus, ohne zu wissen ob Du dabei Erfolg haben wirst?
  • B. Ist es wichtig, Fehler zu vermeiden?
  • C. Ist Dir bewusst, dass Scheitern ein Hinweis für Verbesserungspotential ist?
  • D. Erlebst Du Scheitern manchmal als einen Hinweis auf Deine Fehlerhaftigkeit oder Wertlosigkeit?
  • A. Teilst du schwierige Aufgaben in Teilaufgaben auf und erledigst die Schritte einzeln einem nach dem anderen?
  • B. Glaubst Du daran, dass man entweder Talent für etwas hat oder nicht?
  • C. Siehst Du Scheitern grundsätzlich als eine Lernerfahrung?
  • D. Stellst Du dich oft bei Missgeschicken als ganzen Menschen in Frage?
  • A. Glaubst du, dass Fehler natürlich sind und es nur wichtig ist aus ihnen zu lernen?
  • D. Belastet es Dich, wenn etwas auf dem Spiel steht?
  • C. Ist dir die Meinung anderer Menschen eigentlich im Großen und Ganzen nicht so wichtig?
  • B. Hast Du oft Pech und die Dinge wenden sich gegen dich?
  • D. Schiebst Du schwierige Dinge oft auf?
  • B. Vermeidest Du neue Herausforderungen oft?
  • C. Glaubst du, dass man etwas einfach so lange versuchen muss, bis man es hinbekommt?
  • B. Empfindest Du es als schmerzhaft, wenn Du etwas nicht hinbekommst?
  • A. Bist Du normalerweise ganz entspannt, wenn es um etwas geht?
  • D. Ist es dir wichtig, dass andere Menschen dich als fähig und kompetent wahrnehmen?
  • C. Glaubst Du daran, dass alles im Leben gut wird?

Ergebnis

Du kannst jetzt zählen, wie oft du welche Fragen mit „Eher ja“ beant­wortet hast. Vergleiche dabei wie oft Du die Fragen der Kategorie A und C (Zahl 1) und wie oft Du die Fragen der Kategorie B und D (Zahl 2) bejaht hast. Schreibe die zwei Zahlen auf und ziehe die erste Zahl von der zweiten Zahl ab. Es kommt ein Wert zwischen -10 und +9 heraus. Je kleiner die Zahl ist, desto anfälliger bist Du für Versagens­angst.



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Woher kommt die Angst, etwas falsch zu machen?

Was schürt diese Versagens­angst eigentlich? Warum haben so viele Menschen Angst davor Fehler zu machen? Und warum sind besonders junge Menschen von dem Phänomen be­troffen? Mangelt es an Selbstbewusstsein? Liegt es an der Arbeit? Experten diskutieren kontro­vers, wann und weshalb Versagens­ängste entstehen. Im Allgemeinen herrscht jedoch Einigkeit über die drei Ur­sachen Kindheit, Genetik und die digitale Welt der heutigen Zeit.

1. Kindheit

Versagens­ängste haben ihren Ursprung häufig in der Kindheit. Im Kindheitsalter sind negativ behaftete Erfahrungen sehr mächtig, da sie deinen Charakter langfristig prägen können. Aus diesem Grund werden dieser Zeit ver­schiedene sensible Phasen zugeschrieben. In diesen sensiblen Phasen reagieren Kinder be­sonders einfühlsam auf wahrgenommene Erlebnisse. So kann beispiels­weise mangelnde Anerkennung der Eltern dazu führen, dass Du als Kind Versagens­angst entwickelst.

Doch nicht nur die Erziehung, sondern auch das soziale Umfeld und die damit einher­gehenden Erfahrungen nehmen Einfluss auf deine Persönlichkeits­entwicklung und können Ursachen für Versagens­angst sein. Dazu zählen zu harte Bestrafungen der Lehrer, schlechte Noten, ein gemeiner Kommentar eines Mitschülers, zwei­felnde Gedanken und traumatische Ereignisse. Allesamt können die Einstellung zu dir selbst verändern, sodass du Angst hast eines Tages zu versagen.

Aber wie immer gibt es zwei Seiten einer Medaille: Dein Umfeld kann dich nicht nur für Versagens­angst prädestinieren, sondern dich auch davor schützen. Es gibt reichlich wissen­schaftliche Hinweise, dass eine Um­gebung mit charakterstarken Menschen das Risiko für die Entwicklung von Versagens­angst reduziert.

2. Genetik

Weiterhin vermuten Psychologen, dass auch deine Genetik eine Rolle spielt. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass Menschen aufgrund einer genetischen Veranlagung zu Hochsensibilität neigen und anfälliger für Ängste sind. Eng mit derartigen Ängsten ist auch Perfektionismus verbunden. Menschen, die perfektionistische Besorgnis erleben, zweifeln an ihren eigenen Lei­stungen, reagieren sehr sensibel auf ihre Fehler und haben Angst, von anderen negativ bewertet zu werden.

Gerade im Bereich der individuellen Lei­stungen, wo Erfolge und Misserfolge be­sonders sichtbar sind, nimmt diese Dimen­sion einen großen Einfluss. Das übertriebene Streben nach Perfektion ist allerdings trügerisch. Es kann nach und nach zur Angst vor dem Versagen führen, wenn Du immer wieder versuchst deinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Du wirst eines Tages scheitern und möglicherweise dein Vorhaben nicht mehr wiederholen, aus Angst eine Niederlage ein zweites Mal zu erfahren. Und da es eben oft nicht möglich ist, beim ersten Versuch Höchstlei­stungen zu erzielen, scheitern perfektionistische Menschen oft und erleben das wegen ihres Perfektionsanspruchs auch als be­sonders belastend.

3. Digitale Welt

Die dritte Ursache erkennen Psycho­thera­peuten wie Gisela Scherer in der digitalen Welt. Der ständige Bildfluss und das Internet verleiten dazu, dich mit den perfekt wirkenden Menschen zu vergleichen. Doch die sozialen Netzwerke, wie Instagram und Facebook, verzerren die Realität. Die dort geteilten Fotos und Videos spiegeln nicht alle Lebens­momente wider, sondern häufig nur die schönen, scheinbar makellosen.

Dieser passive Medienkonsum verführt dazu das eigene Leben ständig mit einer Scheinwelt zu vergleichen. Und das hat weitreichenden Folgen. Die Vergleichsmenge ist so stark angestiegen, dass Du hohe Ansprüche an dich selbst hast und Angst davor, nicht so gut zu sein wie die dir vorgelebten Ideale. Das nimmt nachweislich Einfluss auf deine Psyche, wie es vor einigen Jahrzehnten noch nicht der Fall war. Während deine Eltern sich nur mit ihrem Umfeld vergleichen konnten, vergleichst Du dich mit der ganzen Welt. Das stellt vor allem junge Menschen vor eine be­sonders große Herausforderung. Nicht jeder kann mit der digitalen Welt umgehen.


Was kann ich gegen Versagens­angst tun?

Glücklicherweise bist Du der Versagens­angst nicht schutzlos ausgeliefert. Bevor Du dir Gedanken über eine Therapie machst oder krampfhaft versucht deine Versagens­angst zu bekämpfen, solltest Du dir einer Sache bewusst sein: Es gibt eine Fähigkeit, mit der Du geschickt Versagensängste gar nicht erst auf­kommen lässt oder sie erfolgreich ablegst.

Reframing

Die Strategie ist unter dem Namen Reframing bekannt und bezeichnet die Kunst des Umdeutens. Reframing ermöglicht es, die Versagens­angst aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Die Fähigkeit die Perspektive zu wechseln ist erfolgs­entscheidend, da jede Bedeutung kontext­abhängig ist. In unserem Fall sollten wir das Wort Versagens­angst in seine zwei Wortstämme unterteilen.

Beginnen wir damit Angst im Allgemeinen aus einem anderen Blickwinkel zu be­trachten. Angst ist prinzipiell ein natür­licher Schutzmechanismus. Also ein sehr sinnvolles und wichtiges Gefühl deines Körpers, das eine Gefahr signa­lisiert, die Du nicht ignorieren solltest. Sie gibt dir Motivation und Ener­gie, angemessen in bestimmten Situationen zu reagieren. Angst zu empfinden ist also überlebens­wichtig. Und im Umkehrschluss lebt jeder Mensch – auch die erfolg­reichsten – mit Angst­gefühlen. Angst gehört zu dir, wie dein persön­licher Fingerabdruck. Es wäre aussichtslos, diese Natürlichkeit zu bekämpfen.

Mehr zum Thema Reframing in unserer NLP-Bibliothek.

Und wie verhält es sich mit der speziellen Angst vor dem Versagen?

Versagen – oder schlichtweg intelligenter formuliert: etwas nicht auf Anhieb zu schaffen – ist fundamental für persön­lichen Erfolg. Denn nur aus Fehlern kannst Du etwas lernen. Und wer aufhört Fehler zu machen, lernt nichts mehr dazu. Um es in den Worten der französischen Mode­vdesignerin Coco Chanel ausdrücken:

„Am häufigsten sind die Menschen erfolgreich, die wissen, dass Versagen unvermeidlich ist.“

Demzufolge solltest du sogar jedem Misserfolg dankbar sein. Er zeigt dir sehr präzise, wo noch Verbesserungspotential besteht und an welchen Stellschrauben Du drehen kannst, um noch erfolgreicher in deinem Leben zu werden. Scheitern ist also nicht das Ende. Es ist auch nicht zwingend etwas Schlimmes. Es ist viel mehr deine Chance. Nutze Sie!

Wie gehe ich mit meiner Angst um?

Um noch selbstbewusster mit der Thematik umzugehen, kannst Du dich der Versagens­angst gezielt stellen. In der Psychologie wird diese Vor­gehens­weise Desensibilisierung genannt. Du setzt dich also deiner Angst selbst­bestimmt in kleinen, kontrollierten Situationen aus.

In unserem Fall bedeutet das: Übe bewusst, bei einer Kleinigkeit zu scheitern und reflektiere, was passiert.

Bricht die Welt zusammen? Bemerkt dein Umfeld etwas? Hat das Scheitern überhaupt Konsequenzen? Hat das einen realen Einfluss auf dein Leben?

Du wirst merken, dass viele deiner Ängste und Sorgen nur in deinem Kopf stattfinden. Nun ist es Zeit dir selbst zu zeigen, dass Scheitern alles andere als negativ ist. Du kannst auf­listen, wann Du dir absichtlich und bewusst kleine Fehler erlaubst. Zum Beispiel einen Rechtschreibfehler in einer E-Mail, im Super­markt den falschen PIN beim Bezahlen eingeben oder ein ungebügeltes T-Shirt in den Schrank legen. Du wirst sehr schnell merken, dass dein Glück nicht von deiner Fehlerfreiheit abhängt.

Und selbst wenn Dir ein Fehler unterläuft, siehst Du jetzt kein Scheitern mehr. Du scheiterst generell nicht mehr, sondern Du gewinnst oder Du lernst. Du siehst ein Geschenk, eine Lernerfahrung die Du nutzt, und dafür darfst Du sehr dankbar sein!

Letztendlich hast Du die Wahl, welche Be­deutung du der Angst oder dem Versagen zuschreibst. Dabei hat sich möglicherweise an den Umständen nicht viel geändert. Aber deine geschärfte Wahrnehmung und die Flexibilität vorherige Situationen aus einer anderen Perspektive zu beleuchten, ermöglichen ein unbegrenztes Wachstum.

Du hast die Wahl, welchem Gefühl und welcher Situation Du welche Be­deutung zu­schreibst. Wähle bewusst und genieße deine nächsten Erfolge!


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