Gemeinwohl Ökonomie – ein Wirtschaftssystem für das Wohl aller

Obdachlose Frau
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Längst hat sich innerhalb unseres kapitalistisch orientierten aktuellen Wirtschaftsmodells bei vielen Deutschen Frust breit gemacht. Im derzeit gelebten System geht der Mensch immer mehr unter. Im Vordergrund steht nur noch der Profit – egal zu welchen Bedingungen. Unternehmen müssen nach immer günstigeren Wegen suchen, zu produzieren, damit sie am Markt konkurrenzfähig bleiben. Die Folge sind Produktionswege, die unserer Umwelt und langfristig auch dem Menschen schaden, da unser Lebensraum Erde dadurch zerstört wird. Das Wirtschaftswachstum ist somit dem Wohl der Menschen nicht zuträglich.
Viele Menschen wünschen sich daher mittlerweile ein neues Wirtschaftskonzept. Ein solches Konzept ist die Gemeinwohl Ökonomie. Sie stellt andere Werte als Gewinn in den Vordergrund und verfolgt im Kern einen Ansatz der Kooperation statt des Gegeneinanders.

Inhaltsverzeichnis

  1. Was ist die Gemeinwohl Ökonomie?
  2. Was ist die Vision der Gemeinwohl Ökonomie?
  3. Was ist die Gemeinwohl Ökonomie Bilanz?
  4. Wie kann diese Bilanz erstellt werden?
  5. Kritik an der Gemeinwohl Ökonomie
  6. Wie kann das Gemeinwohl gesellschaftlich umgesetzt werden?

Was ist die Gemeinwohl Ökonomie?

Erste Konzepte der Gemeinwohl Ökonomie gibt es seit den 90er Jahren. Bei der Gemeinwohl Ökonomie handelt es sich per Definition um ein Konzept welches die Vision eines alternativen Wirtschaftsmodells beinhaltet. Entwickelt wurde es vor neun Jahren von Christian Felber. Das Gemeinwohl-System baut auf Werten wie Solidarität und Kooperation statt Konkurrenzdenken und Gewinnmaximierung auf. Dadurch sollen untereinander Teilen, Verantwortung, Vertrauen, Mitgefühl und eben die Solidarität gefördert werden.

Zum Grundgedanken der Gemeinwohl Ökonomie werden auch die Werte Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, demokratische Mitbestimmung und die Menschenwürde gezählt. Insgesamt kann man von einem Zusammenspiel von Werten sprechen, die sich wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich auswirken, bzw. umgesetzt werden. Gemeinwohl Ökonomie ist also:

  • Wirtschaftlich betrachtet für Unternehmen aller Größen und Rechtsformen umsetzbar. Der Unternehmenserfolg und der Sinn des Wirtschaftens ergeben sich aus Werten, die sich am Gemeinwohl orientieren.
  • Politisch gesehen ein Antrieb für Veränderung im Rechtssystem mit dem Ziel für alle Lebewesen – Menschen wie Tieren – und auch unserem Planeten ein gutes Leben zu ermöglichen. Dies wird unterstützt durch eine am Gemeinwohl orientierte Marktwirtschaft.
  • Gesellschaftlich betrachtet ein Ansatz, um ein neues Bewusstsein zu bilden und somit einen Systemwandel zu fördern. Dieser Wandel basiert auf dem gemeinsamen und wertschätzenden Tun der Menschen und schafft Vernetzung untereinander.

Im Zuge der Gemeinwohl Ökonomie wird das Wohl von Mensch und Umwelt zum Fokus des Wirtschaftens.

Was ist die Vision der Gemeinwohl Ökonomie?

Die Gemeinwohl Ökonomie verfolgt die Vision eine Alternative zu unserem kapitalistisch orientierten Wirtschaftsmodell zu schaffen. Statt des Wachstums der Wirtschaft soll das Gemeinwohl wachsen. Aktuell arbeiten die Menschen für die Wirtschaft und wenige Einzelne erlangen dadurch Wohlstand. Stattdessen soll mit dem anderen Wirtschaftsmodell die Wirtschaft künftig zum Wohle aller arbeiten, damit Wohlstand gleichermaßen unter den Menschen verteilt wird.

Gemeinsam stark
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Felber möchte für Unternehmen durch Steuervorteile oder günstige Kredite Anreize für mehr Nachhaltigkeit und Ethik innerhalb der Wirtschaft bieten. Somit würde der Erfolg der Unternehmen nicht mehr am Gewinn gemessen, sondern an den Maßnahmen, die ein Unternehmen umsetzt, um das Wachsen des Gemeinwohls zu unterstützen.
Hierzu zählen mitunter Bereiche wie eine gesteigerte Lebensqualität, die Bedürfnisbefriedigung und natürlich das allgemeine Wohl der Gesellschaft. Die Vision eines Wirtschaftsmodells, das sich vorwiegend am Wohl aller orientiert und dessen Erfolg an den Beiträgen der Unternehmen zum Gemeinwohl gemessen wird, erfreut sich seit Veröffentlichung von Felbers Buch zum Thema im Jahr 2010 großen Zuspruchs.

So haben sich seit dem Start bereits mehr als 2000 Unternehmen, eine große Zahl an Initiativen und zahlreiche Privatpersonen für dieses Konzept begeistern lassen. Sie engagieren sich für eine Wirtschaft, die auf Menschenwürde, Nachhaltigkeit und Solidarität aufbaut. Bislang basiert jegliches wirtschaftliches Handeln und daran geknüpfter Erfolg auf dem Ziel Geld und Kapital zu vermehren. Erfolge der Unternehmen werden gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), Rendite und Profit. Im Zuge der Gemeinwohl Ökonomie müssen daher Anreize geschaffen werden, die andere Werte als Gewinn in den Vordergrund des wirtschaftlichen Erfolgs rückt.

Was ist die Gemeinwohl Ökonomie Bilanz?

Der österreichische Autor und Gründer von Attac Österreich Christian Felber, legte als Verfechter der Gemeinwohl Ökonomie in seinem Buch „Die Gemeinwohl-Ökonomie – Das Wirtschaftsmodell der Zukunft“ Kriterien fest, mit denen die Gemeinwohl-Bilanz bestimmt werden kann. Unter einer Gemeinwohl Ökonomie Bilanz versteht man ein System, das dazu dient den Erfolg eines Unternehmens nicht mehr anhand von Geld zu messen, sondern an anderen Werten. Das Bewertungsverfahren kommt bei Institutionen, Firmen, Gemeinden und auch Privatpersonen zum Einsatz. Geprüft wird hierbei anhand der festgelegten Kriterien inwieweit ein Unternehmen dem Gemeinwohl dient.

Seit 2017 sind alle Unternehmen, deren Mitarbeiterzahl 500 übersteigt durch eine EU-Richtlinie dazu verpflichtet einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen. Unter die Standards zur Bilanzierung fällt dabei auch die Gemeinwohl-Bilanz. Hintergrund ist ein Wandel hin zu einer ethischen und nachhaltigen Wirtschaft. In Deutschland zählen beispielsweise Unternehmen wie Greenpeace Deutschland, Bioland, Sparda Bank und Vaude zu den Firmen und Institutionen mit Gemeinwohl-Bilanz. In Österreich zählt unter anderem Sonnentor dazu. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt fördert die Erstellung von Gemeinwohl-Bilanzen, ebenso wie ÖkoBusinessPlan Wien.

Wie kann diese Bilanz erstellt werden?

Eine Gemeinwohl-Bilanz kann auf Basis einer Gemeinwohl-Matrix erstellt werden. Diese setzt die vier Hauptwerte Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, Ökologische Nachhaltigkeit und Transparenz und Mitentscheidung in Zusammenhang mit verschiedenen Berührungsgruppen eines Unternehmens, einer Gemeinde oder Organisation. Zu diesen Berührungsgruppen zählen beispielsweise Lieferanten, Eigentümer und Finanzpartner, Mitarbeitende, Kunden und Mitunternehmen ebenso wie das gesellschaftliche Umfeld. Aufgrund der Gemeinwohl-Matrix können im Kontext sämtliche Tätigkeiten eines Unternehmens bewertet werden. Insgesamt gibt es 20 Kritikpunkte, welche unter den vier Hauptwerten zusammengefasst sind und die Grundlage der Bewertung bilden. Zu den Indikatoren zählen mitunter:

  1. Lieferanten

    • Beschaffungs-Management (regionale, ökologische, soziale Aspekte)
    • faire Preisbildung
  2. Geldgeber

    • ethisches Finanzmanagement
  3. Mitarbeiter

    • Gleichstellung und Arbeitsplatzqualität (Gesundheitsförderung und Work Life Balance, flexible Arbeitszeiten)
    • Gerechte Verteilung der Arbeit
    • Förderung des ökologischen Verhaltens der Mitarbeiter (Ernährung während der Arbeitszeit, Mobilität zum Arbeitsplatz)
    • Mindesteinkommen
    • Transparenz
  4. Kunden, Produkte/Dienstleistungen

    • Kundenbeziehung (z. B. faire Preise)
    • Kooperation in der Branche (z. B. Offener Informationsaustausch)
    • Ökologische Produktgestaltung (Suffizienz, Resilienz, Konsistenz)
  5. Gesellschaftliches Umfeld

    • Sinn und gesellschaftliche Entwicklung der Produkte (decken den Grundbedarf oder fördern die Entwicklung des Menschen)
    • Gewinnverteilung orientiert am Gemeinwohl
    • Transparenz und Mitbestimmung

Unternehmen, die sich entscheiden eine Bilanz erstellen zu lassen, setzen damit eine Basis für eine Entwicklung hin zu mehr Nachhaltigkeit und der Steigerung des Gemeinwohls durch ihr wirtschaftliches Handeln. Besonders in Freiburg haben bereits zahlreiche Unternehmen eine Bilanz erstellt.

Kritik an der Gemeinwohl Ökonomie

Neben zahlreichen Befürwortern des alternativen Wirtschaftssystems gibt es auch Kritik an dem Konzept. Der Gemeinwohl Ökonomie (GWÖ) wird häufig vorgeworfen ungeeignet oder gar gefährlich für die Wirtschaft zu sein. Der zu erwartende hohe Verwaltungsaufwand wird beanstandet, ebenso wie eine Bewegung hin zu einer Planwirtschaft. Zudem sehen manche die GWÖ zu wenig demokratisch und es werden politische Ambitionen unterstellt, obwohl zu den Werten der GWÖ auch Demokratie und Freiheit zählen.

Problematisch wird die GWÖ auch insofern gesehen, als dass sie bislang eher eine Nische ist und die Umsetzung im größeren Stil gravierende Umstrukturierungen nach sich ziehen würde. Diese würden langfristig betrachtet zwangsläufig zu Schutzmaßnahmen in Form von Handelsschranken an nationalen Grenzen sowie EU-Grenzen zu Nachbarländern führen. Die Menschen würden das Mehr an Lebensqualität außerdem eintauschen gegen einen Verzicht auf materiellen Besitz, womit der Lebensstandard sinken würde.

Kritiker bemängeln außerdem, dass die Bewertung anhand der Gemeinwohl-Matrix keinen konkreten Aufschluss geben kann, da Werte wie Menschenwürde und Solidarität nicht messbar seien und demnach nicht objektiv betrachtet werden könnten. Befürchtet werden ebenfalls große Eingriffe in die wirtschaftlichen Freiheiten der Unternehmen oder gar Enteignungen. Felbers Wirtschaftssystem wird daher von vielen als „weltfremd“ betitelt und das Bewertungsverfahren als zu wenig objektiv belächelt, während einige von einer „Gemeinwohl-Diktatur“ sprechen.

Wie kann das Gemeinwohl gesellschaftlich umgesetzt werden?

Im Fokus der Gemeinwohl Ökonomie soll vor allem die Kooperation stehen. Hiermit ist sowohl die Kooperation der Menschen untereinander – beispielsweise in einer Gemeinde – als auch zwischen Unternehmen oder ihren Berührungsgruppen gemeint. Idealerweise ließen sich verschiedene Ströme zu einem Netzwerk der Gemeinwohl Ökonomie vereinen. Entsprechende kleine Bewegungen gibt es mittlerweile überall - es hat sich also bereits eine Gemeinwohl-Kultur herauskristallisiert. Hierzu zählen Tauschbörsen, Urban Gardening, Upcycling-Projekte, Dachgärten und Selbstversorgungs-Maßnahmen innerhalb von Gemeinden. Daneben gibt es eine Vielzahl von Initiativen und Kooperationen wie zum Beispiel Open Spaces zur Teilhabe oder das bedingungslose Grundeinkommen.

Gemeinwohl
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Letzteres verfolgt den Ansatz, dass jeder Mensch ein unabhängigeres Leben führen kann, wenn ihm ein bedingungsloses Grundeinkommen zur Verfügung steht. Die Initiative möchte ergründen, was Menschen mit ihrer Arbeitskraft machen, wenn ihre Existenz durch ein Grundeinkommen gesichert ist. Es gibt Thesen dazu, dass Menschen ohne Existenzangst ihre Energie eher in solidarischen Zusammenhalt stecken. Zudem wird die Vermutung aufgestellt, dass ein existenzsicherndes Grundeinkommen die Gesundheit fördert und damit das Wohlbefinden steigert. In der Gesellschaft zeichnet sich durchaus inzwischen anhand einiger Ströme ab, dass das Bewusstsein für das Konzept des Gemeinwohls wächst. Die Strömungen zeigen, dass die Menschen sich wirtschaftlich ein humaneres System wünschen und mehr und mehr andere Werte schätzen als Gewinnmaximierung. Bislang handelt es sich noch um eine Nische innerhalb der Gesellschaft, aber mit den richtigen Impulsen kann ein Umdenken weiter gefördert werden.

Dies zeichnet sich mitunter auch im Arbeitsmarkt ab. Zunehmend wird es Arbeitnehmern wichtiger bei ihrer Jobsuche die Unternehmenskultur und die gelebten Werte eines Unternehmens näher unter die Lupe zu nehmen. Ethisch und nachhaltig agierende Firmen schneiden immer besser ab. Die Menschen möchten ihre Arbeitskraft bevorzugt Unternehmen zur Verfügung stellen, mit denen sie sich identifizieren werden. Da das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Gesellschaft steigt, wird dies ebenso zum Kritikpunkt bei der Bewerbung. Unternehmen, die eine Gemeinwohl-Bilanz veröffentlichen dürften hier punkten können.