Postwachstumsökonomie – warum das Wachsen ein Ende haben muss
Vor dem Hintergrund, dass die Ressourcen unserer Erde begrenzt sind, in der Industrie jedoch ein stetiges Wachstum vorangetrieben wird, entwickelte sich die Postwachstumsökonomie als Gegenbewegung heraus.
Die Befürworter der Postwachstumsökonomie plädieren für einen Wachstumsstopp in der Wirtschaft und schlagen alternative Wege für die Industrie unserer Gesellschaft vor. Wie die Ziele der Verfechter dieser Bewegung aussehen und was sich hinter dem Begriff Postwachstumsökonomie genau verbirgt, soll dir der nachfolgende Beitrag näher bringen.
Inhaltsverzeichnis
- Was ist Postwachstumsökonomie?
- Die Entstehung der Postwachstumsökonomie
- Wer sind die Vertreter der Postwachstumsökonomie?
- Die Ziele der Postwachstumsökonomie
- Wie erfolgt die Umsetzung?
- Vor- und Nachteile der Postwachstumsökonomie
Was ist Postwachstumsökonomie?
Der Begriff Postwachstumsökonomie beschreibt per Definition einen Zweig mit ökologischem Fokus der Wirtschaftswissenschaften. Das Gebiet umfasst den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und nachhaltiger Entwicklung. Zudem beschreibt es eine ökologische und politische Bürgerbewegung. Weitere Begriffe zur Beschreibung dieses Zweiges sind Wachstumswende, Wachstumsrücknahme oder „Entwachstum“ abgeleitet vom englischen „Degrowth“.
Innerhalb der Debatte werden verschiedene Ansätze betrachtet. Zum einen, ob das anhaltende Wachstum des Bruttoinlandsproduktes für eine moderne Gesellschaft noch vertretbar ist. Zum anderen das Herausfiltern aller Faktoren, die belegen, dass eine Industrie, die auf Arbeitsteilung beruht, ohne Wachstum des Bruttoinlandsproduktes keinen Bestand haben kann. Anhand dieser Werte wird anschließend betrachtet, wie die Wirtschaft ohne Wachstum – also eine Postwachstumsökonomie - aussehen könnte.
Berücksichtigt wird hierbei, wie Versorgungsstrukturen kombiniert werden können, die sich durch verschiedene Stufen der industriellen Arbeitsteilung auszeichnen und wie diese zu festigen sind. Im Gegensatz zu anderen Ansätzen, die ein „grünes“ Wachstum thematisieren, handelt es sich bei der Postwachstumsökonomie um eine allgemeine Kritik am Wachstum. Befürworter fordern eine Einstellung des Wirtschaftswachstums oder gar die Verkleinerung der Volkswirtschaft.
Die Entstehung der Postwachstumsökonomie
Erstmals wurde der Begriff Postwachstumsökonomie im Jahr 2006 in der Wissenschaft im Zusammenhang mit Debatten zum Thema Nachhaltigkeit gebraucht. Seitdem hat sich der Begriff zur Beschreibung einer kritischen Betrachtung des Wirtschaftswachstums unter Berücksichtigung von nachhaltigen Aspekten etabliert. Im Zuge der zweiten Etappe der Wachstumsdiskussion kristallisierten sich Beiträge heraus, die diese Debatte mit folgenden Begriffen verbanden:
- Ökosozialismus (Sakar, 2001)
- La descrescita felice (Pallante, 2005)
- Décroissance (Latouche, 2006)
- Degrowth (Victor, 2008)
- Prosperity without Growth (Jackson, 2009)
- Vorwärts zur Mäßigung (Binswanger, 2009)
- Exit (Miegel, 2010)
- Plenitude (Schor, 2010)
- Postwachstumsgesellschaft ( Seidel/Zahrnt, 2010)
- Postwachstumsökonomie (Paech, 2008/2012)
Im Zentrum der Entstehung stand unter anderem die Frage, ob unsere Erde
parallel zu einem kapitalistisch orientierten System bestehen kann. In der Publikation „Die Grenzen des Wachstums“ wurden potenzielle Folgen eines uneingeschränkten Wachstums für unsere Gesellschaft und die Ökologie aufgezeigt. Dies erfolgte unter dem Gesichtspunkt, dass unsere Ressourcen nur begrenzt zur Verfügung stehen werden und welche Folgen die Ausschlachtung der natürlichen Schätze unseres Planeten haben kann.
Im Jahr 2004 wurden erstmals Szenarien in einer Studie aufgeführt, die einen wirtschaftlichen Zusammenbruch im Zeitraum 2030 bis 2100 voraussagten.
Wer sind die Vertreter der Postwachstumsökonomie?
In Deutschland zählen zu den Stimmen der Wachstumskritik mitunter Niko Paech, Uwe Schneidewind, Sabine Hofmeister, Gerhard Scherhorn und Adelheid Biesecker. Sie widmen sich vorwiegend Konzepten, welche die lokale und regionale Versorgung stärken, während vor allem globale, arbeitsteilige Wertschöpfungsprozesse eingeschränkt werden.
Niko Paech
Niko Paech ist ein Volkswirt, der an der Universität Siegen auf den Gebieten Nachhaltigkeit, Umweltökonomie und der Ökologischen Ökonomie forscht. Er prägte in Deutschland den Begriff Postwachstumsökonomie und gilt als nachdrücklicher Fürsprecher der Wachstumskritik. Er schrieb mitunter das Buch „Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“. Über die Postwachstumsökonomie verfasste er für das Zukunftsinstitut den Artikel „Weniger ist mehr“. Mehr Informationen zu Niko Paech findest du auf unserer Seite über ihn.
Uwe Schneidewind
Uwe Schneidewind ist ein Wirtschaftswissenschaftler. Er ist unter anderem Mitglied des „Club of Rome“, stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung für ökologische Wirtschaftsforschung und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim „Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland“. Seit 2013 wirkt er als Mitglied des „Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ mit.
Sabine Hofmeister
Sabine Hofmeister ist Professorin für Umweltplanung am Institut für Nachhaltigkeitssteuerung an der Leuphana Universität Lüneburg. Die Schwerpunkte ihrer Forschung liegen auf den Gebieten Soziale Ökologie, Nachhaltige Raumentwicklung und Geschlechterverhältnisse und Nachhaltigkeit.
Gerhard Scherhorn
Gerhard Scherhorn war ein Wirtschaftswissenschaftler. Im Jahr 1996 war er eines der Gründungsmitglieder der „Vereinigung für Ökologische Ökonomie“. Dort wirkte er im Vorstand bis zu seinem Tod 2018 mit. Als Gründungsmitglied des Netzwerks „Nachhaltige Ökonomie“ wirkte er zudem an der Entwicklung des Konzepts der Nachhaltigen Ökonomie mit, Im Jahr 2010 appellierte er stellvertretend für die Projektgruppe „Ethisch-Ökologisches Rating“, nachhaltige Entwicklung brauche Gesetze für nachhaltigen Wettbewerb.
Adelheid Biesecker
Adelheid Biesecker war Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bremen. Ihren Fokus legte sie auf die Bereiche: Geschichte ökonomischer Theoriebildung, Mikroökonomie aus sozial-ökologischer Sicht, Ökologische Ökonomie und Feministische Ökonomie.
Die Ziele der Postwachstumsökonomie
Die Postwachstumsökonomie hat sich zum Ziel gesetzt das aktuelle Industriemodell durch neue Versorgungsstrukturen mit lokalem und regionalem Fokus zu ersetzen, um das Wirtschaftswachstum aufzuhalten.
Neue Konzepte können eine sozial konstante und auf globaler Ebene faire Versorgung ermöglichen. Hierzu müssen innerhalb unserer Konsumgesellschaft neue Modelle her. Würde man die kommerzielle Ökonomie um 50 Prozent senken, sodass ein Erwachsener – bei zugrunde legen einer 40 Stunden Arbeitswoche – die Hälfte seiner Arbeitskraft freigestellt bekäme, könnten die freien Stunden in gemeinschaftliche Formen der Selbstversorgung oder in handwerkliche Leistungen investiert werden.
Innerhalb örtlicher Gemeinschaften könnte der Konsum des Einzelnen erheblich gesenkt werden. Ein Beispiel hierfür wäre das Ausleihen von Geräten wie Bohrmaschinen unter Nachbarn, anstelle des Neukaufs für eine einmalige Handwerksarbeit in Haus und Garten. Der Verleiher könnte im Gegenzug Unterstützung bei Arbeiten im häuslichen Bereich erhalten. So ergibt sich ein wechselseitiger Nutzen und zugleich wird der Konsum Einzelner herab geschraubt.
Die Umsetzung neuer Versorgungsstrukturen kann in vielen Bereichen angegangen werden.
Wie erfolgt die Umsetzung?
Der Gedanke erfreut sich bereits der Umsetzung im Zuge von Tauschbörsen – inzwischen unterstützen beim Tauschen und verschenken viele regionale und lokale Apps und erleichtern dir einen nachhaltigen Umgang. Auch auf Partys, bei denen Freunde und Bekannte untereinander Kleidung tauschen findet dieses Konzept bereits Anwendung. Da gerade auch die Modeindustrie sehr auf Konsum gepolt ist, ist Tauschen, Verschenken oder Secondhand kaufen ein wichtiger Schritt hin zum nachhaltigeren Konsum, senkt das Wachstum der Modeindustrie und unterstützt die Postwachstumsökonomie. In der Gesellschaft zeichnet sich bereits eine gewisse Besinnung hin zu bewussterem und nachhaltigerem Konsum ab, denn Kooperation und Tausch sind beides Merkmale für die Anwendung der Postwachstumsökonomie innerhalb einer Gemeinde.
So könnten beispielsweise im häuslichen Bereich Gebrauchsgegenstände oder auch Reparaturleistungen geliehen oder im Tausch angeboten werden. Für die Ziele der Postwachstumsökonomie ist genau dies der gewünschte Ansatz. Hier sind einige Beispiele für Bereiche, in denen dieses Model verwirklicht werden kann.
Lebensmittel/Nahrung
Gerade die Landwirtschaft wirkt sich negativ auf Umwelt und Ressourcen aus. Durch urbane Konzepte, wie beispielsweise Gemüse selbst anzubauen, kann die Industrie entlastet und der Konsum geschmälert werden, Hier bieten sich zum Beispiel neben Hausgärten in Wohnsiedlungen auch in dichter besiedelten Städten Dachgärten an. Zudem sind Gemeinschaftsgären sinnvoll. Die Arbeit wird geteilt und der Ertrag seltener verschwendet, als beim Anbau rein für den Eigenbedarf. Bei letzterem sind die Mengen der Ernte oftmals höher als der Bedarf einer Familie. Jedoch bietet sich auch hier das Verschenken unter Nachbarn an.
Auch Apps über die Lebensmittel verschenkt werden können, die du nicht mehr verwerten kannst, unterstützen einen nachhaltigeren Umgang mit Ressourcen und mindern den Konsum.
Selbermachen/Handwerk
Statt ein Produkt neu zu kaufen bietet es sich zudem an etwas selber zu bauen. Mittlerweile findet sich im Internet ein breites Angebot von Anleitungen rund um Wohnen, Garten und Einrichtung, die dazu einladen etwas selbst zu machen. Außerdem lassen sich hierbei in vielen Fällen Materialien wie Holzreste verwerten, die von anderen Handwerkstätigkeiten und Projekten übrig geblieben sind. Metall und Holz lassen sich auch von Laien mit entsprechender Anleitung recht einfach selbst verarbeiten.
Wiederverwerten
Beim Wiederverwerten ist meist etwas Kreativität gefragt, aber es gibt zahlreiche Möglichkeiten den einzelnen Teilen von defekten Gegenständigen durch Wiederverwertung ein neues Leben einzuhauchen, um auf diesem Weg nur das wegschmeißen zu müssen, was wirklich im privaten Bereich nicht mehr genutzt werden kann.
Damit dieses alternative Modell der Versorgung funktioniert, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Der wichtigste Faktor ist Zeit, denn Selbstversorgung oder Eigenbau und ähnliche Tätigkeiten sind zeitintensiv. Für die Umsetzung müssen daher die Rahmenbedingungen innerhalb der Gesellschaft stimmen, bzw. geschaffen werden. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer Suffizienzstrategie. Das Wort Suffizienz steht für „das richtige Maß“ und befürwortet eine Veränderung des aktuellen Konsummusters hin zu einem nachhaltigeren Muster. Unter nachhaltigem Konsum versteht man dabei auch Konsumverzicht, Selbstbegrenzung und Entschleunigung.
Vor- und Nachteile der Postwachstumsökonomie
Sich von einem System zu lösen, dass für materiellen Wohlstand gesorgt hat ist für viele nicht leicht. Hierzu zählt auch das Wirtschaftswachstum. Kritiker bemängeln den anhaltenden Fokus auf weiteres Wachstum in der Wirtschaft und plädieren für einen Wachstums-Stopp und alternative Wege. Im Zuge einer Postwachstumsökonomie ergeben sich bestimmte Vor- und Nachteile.
In der heutigen Gesellschaft inklusive ihres Fortschritts und ihrer Technologie ist für uns Menschen Zeit zur kostbarsten Ressource geworden. Durchschnittlich besitzt jeder Mensch etwa 10.000 Dinge. All diese Dinge fordern täglich unsere Aufmerksamkeit. Hinzu kommt noch die Arbeit und die zwischenmenschliche Beziehungen. Nach wie vor hat unser Tag aber nur 24 Stunden. In dieser Zeitspanne sind wir inzwischen einer massiven Reizüberflutung ausgesetzt.
Wenn du dich hin zur Entschleunigung und zu einem minimalistischerem Lebensstil orientierst, erfährst du einen wertvollen Zugewinn an Zeit. Wenn weniger Dinge dein Leben verstopfen, kannst du dich auf das Wesentliche konzentrieren. Du erlebst eine Steigerung deiner Lebensqualität und damit deines Wohlbefindens.
Dennoch sehen viele auch Nachteile an einer Postwachstumsökonomie und stellen in Frage, wie innerhalb dieses Modells zum Beispiel die Beschäftigung und ein sinkendes Sozialprodukt oder eine steigende Staatsverschuldung geklärt werden soll. Gegner der Postwachstumsökonomie sind der Ansicht, dass grünes Wachstum ebenso zum Schutz und Erhalt unseres Planeten beitragen kann wie Konsumverzicht, für den sich unter anderem Niko Paech nachdrücklich ausspricht.
Gegner Ottmar Edenhofer ist der Ansicht, dass radikaler Verzicht teurer wäre als weiteres Wachstum. Aus diesem Grund müssten per CO2-Steuer Anreize für Unternehmen geschaffen werden CO2-Emissionen einzusparen. Anhand von Griechenland als Beispiel spricht er sich gegen einen radikalen Wachstums-Stopp aus. Die Deutschen per Gesetz zu einem Konsumverzicht zu zwingen ist seiner Meinung nach der falsche Weg. Dem entgegen steht jedoch, dass noch zu wenige Menschen den Gedanken des Gemeinwohls und der Selbstbegrenzung leben. Wenn die breite Masse nicht aus eigenem Antrieb mitzieht, funktioniert die Postwachstumsökonomie nicht ohne ein entsprechendes Gesetz.
Hier ein knapper Umriss der wesentlichen Vor- und Nachteile:
Vorteile
- mehr Lebensqualität
- gesteigertes Wohlbefindens
- weniger Erschöpfung (Burnout, Depression etc.)
- Ressourcen werden geschont
- Erhaltung unseres Planeten
- Umweltschutz
- gesteigerte Nachhaltigkeit
- Verringerung des CO2-Ausstoßes durch neue Versorgungsstrukturen
Nachteile
- wachsende Staatsverschuldung
- Eingriff in den Lebensstil
- dem Menschen seinen Wohlstand wegnehmen
- Verzicht auf Technologie (Fernseher, Smartphone etc.)
- Infrastrukturen zerfallen
- weniger Investition in die jüngere Generation möglich
- Klimaschutz kann nicht dem Konsumenten überlassen werden
- ein kultureller Wandel ist nicht realistisch
- Kapitalismus kann nicht per Beschluss abgeschafft werden
Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass die Postwachstumsökonomie nur funktionieren wird, wenn nicht nur jeder Deutsche, sondern die gesamte Weltbevölkerung – insbesondere der Industriestaaten – bereit ist sich auf Verzicht einzulassen. Dazu gehört ihren Wohlstand zu verringern oder gar ganz aufzugeben und sich auf das Wesentliche zu beschränken. Jeder erwachsene Mensch müsste mehr freie Zeit erhalten, um diese in Selbstversorgung ebenso wie Teilen und Tauschen oder Selbermachen investieren zu können. Es liegt jedoch auch an der Politik hier Anreize und Rahmenbedingungen zu schaffen, damit mehr Menschen willens sind sich auf dieses Versorgungsmodell und einen minimalistischeren Lebensstil einzulassen.