-->
Landsiedel Seminare → Wissen → Verzeihen
„Verletze nie den Menschen, den du liebst. Denn er wird dir vielleicht verzeihen, aber vergessen wird er nie.“
Solche und ähnliche Sprüche und Zitate findet man, wenn man bei Google das Suchwort „Verzeihen“ eingibt. Was aber bedeutet es zu verzeihen, und gibt es eigentlich Dinge, die man nicht verzeihen kann?
Traumatische Erlebnisse aus der Kindheit oder Verletzungen aus der Gegenwart können lange an einem Menschen haften. Die alkoholkranken Eltern, die vergiftete Partnerschaft, die intriganten Kollegen: Diese Erlebnisse legen sich wie dunkle Schatten über Bereiche unseres Lebens und lassen uns mit einem unangenehmen, verletzten Gefühl zurück. Manche Ereignisse kann die Seele nicht gut verarbeiten und diese Last liegt schwer auf den Schultern. Jeden Tag.Wenn wir Verletzungen oder Kränkungen durch andere erfahren haben, beschleicht uns nicht selten ein Gefühl des Zorns. Wir sind wütend, wir könnten toben oder wir sind enttäuscht. Manchmal sind wir auch einfach nur unendlich traurig. Für den Menschen, der uns das angetan hat, haben wir nur noch Verachtung übrig. Oftmals tragen wir dieses Gefühl der Wut und Enttäuschung jahrelang in uns und reagieren empfindlich, sobald wir an diese Person erinnert werden. Verzeihen? Fehlanzeige!
Inhalte
Einige Narben tun heute noch weh. Auch wenn das Erlebnis schon lange zurückliegt, ist der Schmerz noch immer präsent. Und während der Täter schon gar nicht mehr an sein Fehlverhalten denkt und ein glückliches Leben lebt, belastet uns die Erinnerung jeden Tag. Man könnte verzeihen – aber wieso sollte man? Bedeutet Verzeihen nicht automatisch, dass man die Schandtat einfach so hinnimmt oder sogar gutheißt? Oft hat man das Gefühl, dass die Unentschuldbarkeit für bestimmte Taten das einzige ist, das die Würde bewahrt. Dabei richtet sich das Nicht-verzeihen-können am Ende tatsächlich gegen einen selbst. Es macht krank und bleibt für den Rest des Lebens eine offene Rechnung.Man sollte – wie bei so vielen Problemen im Leben – den Blickwinkel wechseln und die Dinge in einem neuen Licht betrachten.
Es lässt sich nicht immer alles vergeben was uns wiederfährt. Wenn wir jedoch mit uns selbst ins Reine kommen, hat das entscheidende Vorteile, sagen Experten. Man könnte annehmen, dass dem Verzeihen eine Entschuldigung vorausgehen muss. Schaut man sich den Begriff „sich entschuldigen“ jedoch an, merkt man schnell, dass da etwas nicht stimmt: Wer einen Fehler begeht und sich dafür entschuldigt, legt die Schuld quasi selbst von sich ab. Die Schuld abnehmen kann jedoch nur der Betroffene, dem Unrecht getan wurde. Die Formulierung „Ich bitte um Entschuldigung“ wäre treffender. Man bittet um die Milde und Güte desjenigen, den man gekränkt hat.Kann man nun aber jemandem verzeihen, der sich nicht entschuldigt? – Ja, denn Verzeihen hat immer zu 100 Prozent mit der Person zu tun, die verletzt wurde. Es erfordert nicht die vorangegangene Aktion des Um-Verzeihung-Bittens. Der Vergebungsprozess findet innerlich statt und bedarf keiner vorherigen Entschuldigung des Täters. Wohlbemerkt, dass sich die meisten Menschen durchaus Einsicht und Reue des Täters wünschen. Ist dies nicht gegeben, macht es das Verzeihen meist schwer. Jedoch muss man auch verstehen, dass das Entschuldigen für den Täter ebenso schwer sein kann, wie das Verzeihen.
„Es kann nur Glück und Freude geben, wenn man in sich selbst Frieden gefunden hat.“
Oberflächlich gesehen, scheint entschuldigen recht simpel. Ich habe einen Fehler gemacht, also bitte ich um Verzeihung. Egal ob beim besten Freund, beim Partner, beim Kollegen oder sonstigen Personen. Doch je einfacher uns ein floskelhaftes „Sorry, dass ich zu spät bin.“ Über die Lippen kommt, desto schwerer ist eine Entschuldigung bei „großen Dingen“.Einige Experten sehen den Grund dafür in der Angst sich Fehler einzugestehen. Sie versuchen auf kontraproduktive Art und Weise ihr Gesicht zu wahren und flüchten sich in Rechtfertigungen. Besonders Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl und wenig Selbstbewusstsein versuchen das Eingeständnis eines Fehlverhaltens zu umgehen. Dabei würden sie mit einer aufrichtigen Entschuldigung an charakterlicher Größe gewinnen und auch etwas für ihren eigenen Seelenfrieden tun.Ein weiterer Grund für das Nicht-entschuldigen ist, so sind sich einige Psychologen und Sozialforscher einig, dass wir in einer Ellbogengesellschaft leben, in der jeder nur an seine eigenen Vorteile denkt. Man hat den Fokus nur auf seinen eigenen Gefühlen und auf seinem eigenen Weiterkommen. Die Gefühle und Bedürfnisse anderer gehen dabei unter.
„Der Schwache kann nicht verzeihen. Verzeihen ist eine Eigenschaft des Starken.“ (Gandhi)
Nicht nur in der Religion ist Vergebung ein Thema. Auch die Psychologie befasst sich mit diesem Thema. Experten vergleichen Vergebung mit Loslassen. Man legt seinen Groll beiseite und akzeptiert das Geschehene. Man schließt mit einer Sache ab und widmet sich neuen Dingen. Verzeihen ist ein Prozess, der unabhängig von der Reue des Täters vollzogen werden kann. Es wird nicht die Handlung an sich vergeben, sondern es wird dem Täter vergeben. Dieser innerseelische Prozess ist laut Psychologen eine Umstrukturierung des Ich, um negative Gefühle zu vermeiden.
Die American Psychological Association hat mehrere Arbeiten zum Thema Vergebung veröffentlicht. Der Psychologe Bob Enright der Uni von Wisconsin sagt diesbezüglich, dass Verzeihen weit mehr sei, als das Geschehene zu akzeptieren und weiterzumachen. Seiner Ansicht nach bedeutet aufrichtige Vergebung Empathie und Mitgefühl für den Täter.
Man sollte es mal so sehen. Verzeihen tut man letztendlich aus Liebe zu sich selbst. Wer seinen Gram begräbt und verzeiht, gibt sich selbst die Möglichkeit mit Dingen abzuschließen. Dies wirkt sich positiv auf das seelische und körperliche Wohlbefinden aus.
Solange man negative Gefühle hat, hat man nicht die Kontrolle über sein Leben. Jeder möchte doch unbeschwert leben können und in seinem Handeln frei sein. Gram und Wut lassen Menschen jedoch verbittert werden und schränken sie in Ihrem Dasein ein. Wer verzeiht, der befreit sich aus der Opferrolle und gewinnt wieder Kontrolle über sein Leben.
Bedenken Sie: Jeder Mensch lebt seine eigene Geschichte und hat seine eigene Vergangenheit. Dementsprechend handelt und lebt er nach den von ihm erlernten Denkprogrammen. Wenn man verletzt wird, hat das nicht zwangsläufig mit böser Absicht zu tun. Vielleicht hat der Täter sogar nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Dieser Zusammenhang ist wichtig zu verstehen, um die Beweggründe für bestimmte Verhaltensmuster zu begreifen.
Negative Erfahrungen und unangenehme Ereignisse gehören ebenso zum Leben dazu, wie positive. Sie sind es aber auch, durch die wir unseren Charakter, unsere Empfindung und unser Urteilsvermögen schärfen. Wer negative Erfahrungen erlebt, lernt nicht nur andere Menschen einzuschätzen, sondern auch sich selbst besser einzuschätzen. Es gilt, dem Erlebten etwas Positives abzugewinnen und gestärkt aus der Sache hervorzugehen.
„Verzeihen oder Geduld haben heißt nicht, dass man immer alles hinnimmt, was andere einem zufügen.“
Man sagt sich: „Er hat mich so sehr gekränkt, das kann ich ihm niemals verzeihen.“ Damit will man eine Art der Bestrafung geben, die den anderen ewig an sein Fehlverhalten erinnern soll. Man glaubt, dass wenn man sich durch das Erlebte schlecht fühlt, sich auch der Verursacher auf ewig schlecht fühlen soll. Man versucht ihn dadurch jede Sekunde seines Daseins mit der Tat und negativen Gefühlen zu konfrontieren – dabei kommt das tatsächlich auf einen selbst zurück.Je nachdem was der Auslöser für den Groll ist, kann es sein, dass derjenige, der einen verletzt hat, die Situation völlig anders wahrnimmt. Für ihn mag es eine Lappalie sein – nichts, worüber er noch nachdenkt. Somit bleibt das schlechte Gewissen aus. Man selbst sitzt aber noch immer da und grollt und ärgert sich. Ist es das wert?
„Das Problem ist nicht das Verzeihen, sondern das wieder zu vertrauen.“
Dass ein selbstverschuldeter Autounfall mit tödlichem Ausgang etwas anderes ist, als eine kränkende Bemerkung, darüber sind sich die meisten einig. Und doch können beide Fehler einen Menschen traurig stimmen und tief verletzen. Was kann man nicht verzeihen? Gibt es tatsächlich Dinge, die so schwerwiegend sind, dass sie unverzeihbar sind?Unterhält man sich mit verschiedenen Menschen, erhält man sicher genügend Beispiele über Situationen, die sie bis heute noch verfolgen und die sie der betreffenden Person bis jetzt nicht verzeihen konnten. Andererseits hat man auch schon Geschichten gehört, bei denen Eltern dem Mörder ihres Kindes verziehen haben. Ein Mord. Ein Unglück, welches das Leben einer ganzen Familie von heute auf Morgen zerstört hat. Man muss schon überaus stark sein, um derartige Verletzungen zu verkraften – und noch stärker, um dem Täter zu vergeben.Was man verzeihen kann und was nicht, hängt immer von einem selbst ab. Fakt ist, dass man wahren Frieden nur finden kann, wenn einem das Loslassen gelingt und man bereit ist seine Seele wieder zur Ruhe kommen zu lassen.
“Verzeihen ist keine Narrheit, nur ein Narr kann nicht verzeihen“
Aufrichtige Vergebung bringt nur Vorteile für denjenigen, der verzeiht. Es schafft einen Abschluss. Es befreit und es richtet den Fokus auf das Positive. Nicht nur innere Stärke gehört zum Verzeihen dazu. Auch der Wille, wieder Kontrolle über das eigene Leben zu erlangen spielt beim Verzeihen eine Rolle.
Wer sich von seelischem Ballast befreien will, der sollte ganz genau wissen, wem er was zu vergeben hat. All die Verletzungen und Sticheleien sollten auf eine Liste niederschrieben werden. So erhält man einen Überblick über die abzuarbeitenden Stationen. Zudem kommen die alten Gefühle wieder auf und man kann reflektieren. Einige Punkte können sich allein durch das Niederschreiben von selbst auflösen. Wichtig ist, sich mit den negativen Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen. Es ist wie eine bittere Medizin, die die Seele heilt.
Affirmationen sind positive Glaubenssätze, die immer wieder laut aufgesagt werden. Sie können unser Denken und Handeln beeinflussen und haben den Sinn, die Gedanken positiv zu beeinflussen und ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Auf das Verzeihen bezogen, könnte eine Affirmation folgendermaßen lauten: „Ich bin bereit dir zu verzeihen und meinen Frieden zu finden.“
Manchmal reicht es ein Foto von der Person zu sehen, die einen verletzt hat und die Gefühle brodeln über. Der Groll liegt so schwer auf der Seele, dass wir uns sagen: „Wie konntest du das tun? Dir verzeihe ich niemals!“ Es kann helfen, wenn man ein Zwiegespräch mit der Person auf dem Foto führt. Hierbei darf man seiner Wut und Enttäuschung freien Lauf lassen. Hat man seinem Ärger Luft gemacht, kann man die Vergebung aussprechen. „Ich vergebe dir deinen Fehler, weil ich mich selbst so sehr liebe, dass ich wieder ein unbeschwertes Leben haben will.“ Hat man vergeben, kann man das Bild als symbolischer Schlussstrich verbrennen. Was auch immer die Gründe für seelischen Ärger sein mögen: Außer uns selbst kann uns die Last, die wir tagtäglich mit uns herumtragen, niemand abnehmen. Verzeihen bedeutet weder zu vergessen, noch gutheißen, noch nachgeben. Es hat vielmehr damit zu tun, dass man mit Dingen abschließt, die einen belasten und natürlich mit der Liebe zu sich selbst.
Zurück zum Seitenanfang
© 2024 Landsiedel