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Studierende erleben sie, wenn sie die Abgabe eines schriftlichen Referats immer weiter verschieben. Berufstätige versuchen, Haushalt, Familie und Sport mit einem wichtigen Coachingtermin zu vereinbaren, um sich endlich zu verändern.
Wie kann man der Aufschieberitis vorbeugen? Und ab wann hat sie Krankheitswert? Die Antworten darauf hält dieser Artikel bereit, ergänzt um Ursachen und Hilfemöglichkeiten. Mit Kurztipps, einer vertiefenden Schritt-für-Schritt-Anleitung und Anregungen für einen persönlichen Wochenplan können Aufgeschlossene Erledigungsblockaden wirkungsvoll begegnen. Die Seite schließt mit Hinweisen für mittel- und langfristige Ziele für stärker Interessierte. Wir wünschen allen Lesern Mut für ihre ganz persönlichen Schritte.
Inhaltsverzeichnis
Der Begriff ‚Prokrastination‘ stammt vom lateinischen Verb ‚pro-crastinare‘ ab. Wörtlich heißt das: auf morgen schieben, aufschieben, verschieben, vertagen oder verzögern. Er ist Teil der Fachsprache und immer gebräuchlicher in der Alltagssprache. Synonyme sind die umgangssprachliche ‚Aufschieberitis‘, das ‚Aufschiebeverhalten‘, ‚Bummelei‘, ‚Erledigungsblockade‘, ‚Erregungsaufschiebung‘ sowie der ‚Handlungsaufschub‘. Prokrastination beinhaltet nicht, Aufgaben oder Termine einmal zu verschieben. Es geht um ein wiederholtes Vertagen, und zwar von unangenehmen wichtigen und dringenden Angelegenheiten. Handlungsaufschübe beginnen im Kleinen: mit dem späten Anfangen einer bedeutenden Aufgabe und vielen Unterbrechungen, mit dem Ziel, abzulenken und sich auf Unwichtiges zu fokussieren. Auch fehlende wichtige Zusagen oder Absagen, vor denen sich die Person nicht entscheiden kann, zählen dazu. Die Aufschieberitis kann ihren Ausdruck im Großen darin finden, dass ein Mensch ein zielgerichtetes Studieren oder Arbeiten vermeidet. Vermeidungsaufschieber vertagen wegen einer Versagensangst und um sich zu schützen. Manche Begründungen sind Ausreden. Fakt ist, dass dieses Konfliktvermeidungsverhalten nur mittelfristig hilft. Langfristig wirkt es sich negativ auf das Selbstbewusstsein und die Selbstwirksamkeit aus. Psychologen ordnen Prokrastinierer als Menschen mit einer Störung der Selbststeuerung ein. Die Wissenschaftler unterscheiden davon die Erregungsaufschieber: Personen, die Aufgaben erst kurz vor Termin erledigen. Sie nutzen den Adrenalin-Kick an der Grenze vor dem möglichen Versagen oder besitzen narzisstische Züge, mit einem überhöhten Selbstbild.
„Achtet des einzigen, das Ihr habt: Diese Stunde, die jetzt ist. Als ob Ihr Macht hättet über den morgigen Tag! Wir ruinieren unser Leben, weil wir das Leben immer wieder aufschieben.“ (Epikur von Samos, Philosoph, 341-271 vor Christus)
Das von Thomas Fydrich 2009 entwickelte psychologische Modell für Arbeitsstörungen bietet eine Erklärung für das vielgestaltige Erscheinungsbild. Danach geht der Berliner Wissenschaftler von einem grundsätzlichen Gleichgewicht aus - zwischen den persönlichen Qualitäten eines Menschen auf der einen Seite, und den Rahmenbedingungen in seinem Arbeitsprozess auf der anderen Seite. Beispiele für Letztere sind die Menge der Aufträge und deren Steuerbarkeit. Wenn die Bedingungen in einem harmonischen Verhältnis stehen, führe das zu einem Tätigkeitsstil, der der Arbeit und der Zielerreichung zuträglich ist, sowie zu individueller Genugtuung. Im umgekehrten Fall käme es zu einem Missverhältnis. Es würde für Probleme bei der Ausübung der Tätigkeit wie zum Beispiel für ein Aufschieben sorgen. Die folgende Differenzierung zwischen inneren und äußeren Auslösern einer Prokrastination baut, allgemeinverständlich und um Alltagsbeispiele ergänzt, auf diesem Zusammenhang auf.
Die Frage ist differenziert zu beantworten, ob es sich bei ausgeprägter Aufschieberitis um eine Krankheit oder die Folge einer Krankheit handelt. Prokrastination ist keine Krankheit im Sinne der ICD-10-Klassifikation für psychische Störungen oder des US-amerikanischen DSM-5 Manuals. Sie kann ein Symptom sein, das auf eine Krankheit hinweist, zum Beispiel auf Depressionen. Bezüglich Depressionen kommen beide Möglichkeiten in Frage: Prokrastination kann eine von mehreren Ursachen von Depression sein (niemals alleinige Ursache, denn Depressionen sind als komplexes Phänomen hinsichtlich ihrer Ursachen wissenschaftlich noch nicht vollständig klar). Außerdem kann eine Verschieberitis eine Folge von Depressionen sein. Eine Hilfe von außen (siehe unserem Hilfe-Abschnitt) unterstützt einen Menschen bei Depressionen sowie bei psychologischen Problemen, die die Tendenz zu prokrastinieren, verstärken können:
Eine Prokrastination kann auch eine Folge von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen) sein oder von körperlichen Beschwerden wie zum Beispiel Schmerzen beim Sitzen. Durch beide Ursachen sind die Aufmerksamkeit und die Konzentration auf die Arbeit gestört, was die Vermeidung einer Prokrastination erschwert. Pathologisch ist eine Prokrastination auch, wenn sie dazu führt, dass eine Person sich absondert und einschließt, was auf eine soziale Phobie hinweisen kann. Sehr empfehlenswert ist es für einen Aufschieber, um Hilfe oder ärztliche Unterstützung nachzufragen, wenn er einen starken Verlust an Selbstkontrolle empfindet und ihn die Auswirkungen des Prokrastinierens immens seelisch und/oder körperlich beeinträchtigen.
Ergebnis einer biopsychologischen Studie von 2018 durch ein Bochumer Team um Caroline Schlüter ist, dass Prokrastinierer eine vergrößerte Amygdala, den sogenannten Mandelkern, in ihrem Limbischen System aufweisen. Derart verändert, drückt der Mandelkernkomplex Angst stark aus und wirkt auf eine schnelle Atmung, Herzklopfen und einen beschleunigten Kreislauf hin. Dr. Erhan Genç von der Bochumer Arbeitsgruppe nimmt an, dass das zum Vertagen von Angst besetzten Tätigkeiten führen kann, weil die Menschen möglichen negativen Resultaten entgehen möchten. Überraschend ist auch die weniger intensive Zusammenarbeit des Mandelkerns mit der „dorsaler ACC“ genannten Region, was sich verstärkend auf ein Vermeidungsverhalten auswirken kann. Der dorsale ACC hemmt wiederstreitende Aktionen und Gefühle und sorgt so für die Erfüllung ambivalent empfundener Aufgaben.
Gemeint ist die Hilfe, die ein chronischer Aufschieber erhalten kann, wie:
„Morgen werde ich mich ändern; gestern wollte ich es heute schon.“ (Christine Busta, Lyrikerin, 1915-1987).
Dieser Abschnitt hält für Interessierte zunächst Kurztipps bereit. Wer ein weitergehendes Interesse verspürt oder mehr Erläuterungen benötigt, findet im anschließenden Abschnitt Anwendungsbeispiele mit einer Schritt-für-Schritt-Anleitung. Um ein wiederholtes Aufschieben positiv zu meistern, hilft es:
Der folgende Leitfaden ist anfänglich nach der Reihenfolge der empfohlenen Schritte 1-3 gegliedert. Jeder Mensch bringt individuelle Fähigkeiten mit. Deshalb sind Aktionen ab Schritt 4 ein grober Handlungsrahmen, für die jede Person selbst die Reihenfolge wählt. Es kann ebenso Sinn machen, mehrere Schritte parallel anzugehen oder einen Schritt als bekannt abzuhaken. Am Ende dürfen möglichst viele Aufgaben erledigt worden sein.
DAS Wochenprogramm für Aufschieber gibt es nicht. Vielmehr ist es sinnvoll, wenn eine Person selbst ihren Wochenplan – nach den eigenen Bedürfnissen, Schwerpunkten und Möglichkeiten – aufstellt. Hier sind Vorschläge für die Inhalte:
Prokrastination ist komplex und individuell. Für Interessierte, die ihre eigene Persönlichkeit besser kennenlernen und sich emotional und sozial weiterentwickeln möchten, seien hier Themenbereiche zur Vertiefung empfohlen, die mit der Aufschieberitis in Zusammenhang stehen:
Die Prokrastination ist komplex. Ein Mensch kann ihr auf jeder Stufe des Fortschreitens entgegenwirken: mit Bewusstsein, Arbeitsstruktur, Prioritätensetzung und zwischenmenschlichem Austausch. Auch wenn sie Krankheitswert erreicht, kann man sie mit Selbsthilfe, Trainings oder Coaching überwinden. Das Positive an der Aufschieberitis ist, dass sie ein Anlass ist, sich persönlich weiterzuentwickeln.
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